Türkischer Film mit englischen Untertiteln? Kann das funktionieren? Der Eröffnungsfilm der diesjährigen → 30. Türkischen Filmtage in München funktioniert zumindest großartig. SON ÇIKIŞ (zu deutsch laut Google Translate: Letzter Ausgang) spielt größtenteils in Istanbul. Dort arbeitet der junge Architekt Tahsin (Deniz Celiloglu) und ist gestresst. Von seiner Frau will er sich scheiden lassen. Der Job ödet ihn an. Und eigentlich stresst ihn auch sein Wohnort Istanbul, der nicht nur einen unverhältnismäßigen Bau-Boom erlebt, sondern durch permanenten Stau und überfüllte öffentliche Verkehrsmittel negativ auffällt. Auf einer Party trifft Tahsin auf Siren (Ezgi Çelik), eine frühere Freundin. Sie wohnt jetzt im Süden der Türkei in einer Kommune. Dort werden alle Pflanzen selbst angebaut und die Gruppe sorgt für sich. Siren lädt ihn ein, es auch einmal mit dem Bio-Landleben zu versuchen. Tahsin hält es erst für eine dumme Idee und doch bricht er bald alle Brücken hinter sich ab. Doch allein schon zum Flughafen zu kommen, stellt Tahsin vor große Herausforderungen.
Der Sisyphos vom Bosporus
Tahsin ist ein tragischer, aber auch sehr sympathischer Held. Es ist ihm nicht zu verübeln, dass er aus Istanbul verschwinden möchte. Der Fahrkartenautomat nimmt sein Geld ohne Rückgeld zu geben. Der öffentliche Nahverkehr ist permanent überfüllt. Es wirkt wie ein undurchdringliches Labyrinth, indem sich Tahsin zurecht finden muss. Vermeintliche Hilfe entpuppt sich schnell als Zwischenstation zu einem noch viel größeren Desaster. Im Q&A nach der Deutschlandpremiere erklärte der Regisseur, dass er ursprünglich einen dystopischen Endzeitthriller aus dem Stoff machen wollte und das Setting von Istanbul würde sich hierfür tatsächlich anbieten. An jeder Ecke wird gebaut. Regisseur Ramin Matin zeigt das in eindrücklichen Bildern. Da steht Tahsin auf einer Anhöhe und blickt auf die Stadt und alles was man bis zum Horizont sieht, sind Wolkenkratzer. Dieser Bau-Boom ist allerdings keinesfalls nur filmische Realität. In vielen Vierteln Istanbuls wird gebaut. Allerdings gibt es häufig keinen Käufer für die Wohnungen, daher stehen sie dann leer oder werden nicht zuende gebaut. In diesen Bauruinen leben aber trotzdem manchmal Menschen.
Glück und Zufriedenheit sind flüchtig
Die Geschichte lässt sich eigentlich mit der Phrase „vom Regen in die Traufe“ zusammenfassen. Tahsin stolpert von einem Unglück ins nächste. Das ist bisweilen durchaus komisch, ist er doch derjenige, der Istanbul verlassen möchte um glücklich zu werden. Doch das Glück ist flüchtig. Spannend ist dabei, dass es der gebildete Architekt auf seiner Reise hauptsächlich mit Leuten aus dem niedrigen Bildungsniveau zu tun bekommt. Denen muss er dann aber auch seine teure Uhr überlassen. Deniz Celiloglu ist die Rolle auf den Leib geschrieben. Mit simplen Gesten, mal schwitzend, keuchend, mal trübsinnig, grummelnd, lässt er den Zuschauer am Leidensweg von Tahsin teilhaben. Die Pointe von SON ÇIKIŞ sieht man schon ein bißchen früh kommen. Auch die einzelnen Stationen der Reise ziehen sich etwas zu sehr. Dennoch ist der Film für einen Eröffnungsfilm gut gewählt und sorgte für zahlreiche Lacher im Publikum.
4/6 bzw. 7/10