Ich vertrete ja die These, dass es jedes Jahr nur einen wirklich guten deutschen Film gibt. Es gab auch schonmal Jahre mit zwei oder drei Filmen, aber das ist dann doch die erfreuliche Ausnahme. Haben die Verleiher und Kritiker, die den Film meistens vorab auf ausländischen Filmfestivals entdeckt und gelobt haben, endlich auserkoren, startet eine umfangreiche Marketingkampagne, manchmal ein regelrechter Hype, der meistens in einer Nominierung für die besten ausländischen Film bei den Oscars endet. Dieser „Eine“ ist dieses Jahr AUS DEM NICHTS.
Für Katja (Diane Kruger) bricht eine Welt zusammen. Sie verliert ihren Mann Nuri (Numan Acar) und ihren Sohn Rocco (Rafael Santana) bei einem Bombenanschlag. Katja nimmt Drogen und will sich das Leben nehmen. Als die Polizei die Täter fassen kann, keimt so etwas wie Hoffnung bei Katja auf. Als Nebenklägerin tritt sie in der Gerichtsverhandlung auf und lässt sich durch Nuris bestem Freund Danilo Fava (Denis Moschitto) anwaltlich vertreten. Nachdem Verteidiger Haberbeck (Johannes Krisch) Zweifel gesät hat, müssen das Täterpaar Edda (Hanna Hilsdorf) und André Möller (Ulrich Friedrich Brandhoff) mangels eindeutiger Beweise freigesprochen werden.
Die Opferperspektive in drei Akten
Akin unterteilt sein Drama in drei Kapitel. Kapitel Nr. 1 heißt „Familie“ und behandelt die schmerzvollen Phasen, die Katja durchleidet um mit der Trauer umzugehen. Akin bleibt dabei konsequent bei Katja und ihrer Sicht auf die Dinge.Sich mit den Tätern beschäftigen, sich über deren Motive im Klaren werden, mag er nicht. Eine gute Entscheidung. Es geht hier nicht nur um das Leid, das über die Opfer hereinbricht, sondern thematisiert bewusst die Auswirkungen auf die Angehörigen.
Diane Kruger habe ich im ersten Drittel nicht jede Szene abgekauft. Woran das genau liegt, kann ich nicht einmal genau sagen, vielleicht liegt es an meiner leichten Abneigung gegen sie, vielleicht auch an den etwas hölzern vorgetragenen Dialogen. Das Gespräch zwischen dem Polizeibeamten und Katja war überhaupt nicht mein Fall. Ab dem zweiten Kapitel hingegen kann Kruger diese kleineren Macken wieder voll ausgleichen. Hier verwandelt sich das Familiendrama in einen Gerichtsthriller. Die Gerichtsverhandlung ist in manchen Momenten etwas zu lang. Hier glänzt neben Denis Moschitto als leidenschaftlicher Anwalt besonders Johannes Krisch als Verteidiger des Nazi-Pärchens.
Kruger cannes es!
Im dritten Kapitel verwandelt sich Kruger in einen Beatrix-Kiddo-Verschnitt. Hier hat die Protagonistin den Weg der Rechtschaffenheit entgültig verlassen und statt weiter auf die Justiz zu hoffen, sucht Katja ihre eigene Form der Gerechtigkeit. Sie verfolgt das Nazi-Pärchen. Das ist auch nicht schwer, schließlich posten die beiden in den sozialen Netzwerken stolz, dass sie nach dem positiven Ausgang ihres Verfahrens erstmal Urlaub auf Staatskosten machen. Einschließlich Bild mit strahlenden Gesichtern unter der Sonne Griechenlands. Das ist einer dieser Momente, in denen sich bei mir die Wut im Bauch geregt hat. Ich wäre am liebsten in diesen Film gesprungen und hätte laut herumgeschrien: DAS KANN DOCH JETZT NICHT EUER ERNST SEIN! HABT IHR VÖLLIG DEN VERSTAND VERLOREN? ARRRRRRRGH!
Gekonnt spielt Fatih Akin dabei mit den Erwartungen des Zuschauers. Manchmal reicht es schon einen Rucksack zu zeigen um eine Bombe zu meinen. AUS DEM NICHTS ist gegen Ende absolut unvorhersehbar und spannend, was nicht zuletzt daran liegt, dass Katja ihre Entscheidungen auch nochmal überdenkt und sich spontan für einen anderen Weg entscheidet als zunächst geplant. Beim diesjährigen Filmfestival in Cannes bekam Diane Kruger eine Auszeichnung als beste Schauspielerin. AUS DEM NICHTS wird ins Rennen um dem Golden Globe und (wahrscheinlich) den Oscar als bester fremdsprachiger Film gehen. Und die Chancen stehen nicht mal schlecht…
5/6 bzw. 8/10
Trailer: © Warner Bros.
Den habe ich leider noch immer nicht sehen können, weil es zeitlich nie passte. Aber er läuft hier noch im Kino. Vielleicht schaffe ich es ja doch noch. Immerhin mag ich Akins Filme immer sehr gern.