Nach der eher mäßig geglückten NT-Live-Inszenierung von CAT ON A HOT TIN ROOF habe ich mich trotzdem wieder in das Kino meines Vertrauens gesetzt. Niemand geringeres als Ben Whishaw hat mich dazu verleitet. Der spielt nämlich in der neuen Inszenierung JULIUS CAESAR mit. Das Theaterstück unter der Leitung von Nicholas Hytner sorgte für Aussehen. Zum einen waren Blog und Twitter-Feed meiner Bloggerkollegin → Singende Lehrerin wochen- und monatelang euphoriegetränkt (und das war ansteckend). Zum anderen hat mich der Trailer und auch das ganzheitliche Theaterkonzept des Stücks angesprochen.
Rom, 45 v. Chr.: Caesar (David Calder), beliebt beim Volk, bekommt von Marcus Antonius (David Morrissey) dreimal die Krone angekommen, doch er lehnt jedes Mal ab. Ein Wahrsager warnt Caesar vor drohendem Unheil, doch er ignoriert dies. Als die römischen Senatoren Caesar zum König wählen wollen, trommelt Cassius (Michelle Fairley) den Widerstand zusammen. Sie offenbart Caesars engstem Vertrauten Brutus (Ben Whishaw) einen Plan. Der wiederum ist ebenfalls in Sorge und überlegt wie das Problem zu lösen sei. Ein Mord wäre die Lösung. Cassius, Brutus und andere Verschwörer treffen sich und beschließen Caesar zu töten. Obwohl ihn seine Frau Calpurnia (Wendy Kweh) bittet nicht zum Kapitol zu gehen, setzt er sich über ihren Willen hinweg. Im Kapitol kommt es zum Schusswechsel. Caesar stirbt. Auf der folgenden Beerdigung erklärt sich Brutus und verteidigt den Mord. Marcus Antonius gelingt es aber in seiner Grabrede das Volk gegen die Attentäter aufzubringen.
Immersive Theatre
Ich persönlich mag das ja gar nicht, wenn mich Schauspieler von der Bühne direkt ansprechen oder das Publikum in einer Form einbeziehen, die über Szenenapplaus hinausgeht. Hier hat mir das aber überraschend gut gefallen. Ein Teil des Publikums wird zum Volk von Rom gemacht. Das geht angesichts einer Rockband, die mehrere Songs wie etwa “Seven Nation Army” von den White Stripes spielt, erstaunlich gut.
Die Menge geht mit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Menschenmasse muss sich bewegen, sich um aus dem Boden auftauchende Bühnenteile verteilen, eine Gasse bilden für Caesar. Nachdem die Kamera auch immer wieder aus dem Pit filmt, bekommt man zumindest ein Gefühl für die Situation dort. Aber es bleibt halt nur ein Gefühl. Auch wenn das Stück den Zuschauer miteinbezieht, bei der NT Live-Übertragung gelingt das nur bedingt. Hier sitzt man halt in einem gemütlichen Kinosessel, bewegt sich kaum und hat allenfalls die halbe JULIUS CAESAR-Erfahrung. Das Stück als solches fand ich in den ersten beiden Dritteln sehr spannend. Im letzten Drittel sterben aber wieder alle – naja, Shakespeare halt – und das war mir dann zu viel. Wenn es ein Stück gibt, dass man tatsächlich live gesehen haben muss, dann ist es Hytners JULIUS CAESAR.
Von roten Kopfbedeckungen und Frauen in Männerollen
Was ich ja am britischen Theater so toll finde, sind die subtilen Bezüge. Im deutschsprachigen Theater wird gerne mal mit dem erhobenen Zeigefinger gearbeitet. Man wird erschlagen von Nazi-Vergleichen und Ost-West-Thematiken.
Auch in JULIUS CAESAR lassen sich durchaus Bezüge zur Realpolitik herstellen, die aber nicht so wuchtig ausfallen. So sind die Basecaps, die von Caesars Anhängern getragen werden, rot und mit einem Schriftzug versehen. Unweigerlich denkt man dabei an Trump, dessen überraschenden Wahlsieg und die aufgeheizte Stimmung während dessen Kundgebungen. Auch die Siegerposen von David Calder kommen einem von Wahlkampfveranstaltungen bekannt vor. Zahlreiche Männerrollen sind mit Frauen besetzt. So wurde beispielsweise Michelle Fairley (GAME OF THRONES) auf die Rolle von Cassius besetzt. Abermals begeistert mich Ben Whishaw. Der gleiche Mann, der in Interviews wohlüberlegt und ruhig Fragen beantwortet, brüllt hier Mitstreiter an, sinniert über die Sinnhaftigkeit eines Mordes und ist als Brutus definitiv ein Hingucker.
4.5/6 bzw. 7.5/10
Trailer: © NT Live
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