Was für eine Hysterie! Im Herbst 2014 wurde bekannt gegeben, dass Benedict Cumberbatch im Londoner Barbican Theatre den Hamlet geben wird. Die Tickets waren innerhalb von Minuten ausverkauft, daher gab es sofort Gespräche mit NT Live → um das Stück ins Kino zu bringen. Fans rund um den Globus freuten sich rießig. Dann war er da, der Premierenabend. Sophie Hunter → strahlte neben ihrem vergötterten Gatten und alles war gut. Dann fingen aber vereinzelt Blätter an, Rezensionen zu veröffentlichen, noch vor der offiziellen Press night, was wiederum unter den Blättern zu Missstimmung führte. Der Blog Schauwerte stellt gar die Frage: Ist eine anständige Kritik in Cumberbatch-Land unmöglich? Man hörte vereinzelt auch noch Klagen, weil der bekannte „Be or not to be“-Teil direkt zu Beginn des Stücks aufgesagt wurde. Aufgrund von Protesten wurde er dann wieder an seine alte Stelle gesetzt. Dann hieß es vom Barbican: Herr Cumberbatch wird nach den Auftritten keine Autogramme geben. Auch noch Tage später wurde das Barbican derart von Fans belagert, sodass er doch welche geben muss. Zudem → beschweren sich die Nachbarn des Barbican, die nicht nur nach jeder Hamlet-Vorstellung die lärmende Menschenmenge anhören muss. Doch auch Benedict beschwerte sich bei seinen Fans und bat sie, → während der Vorstellung nicht zu filmen oder Fotos zu machen. Theateretikette für Dummies, Unwissende und übermotivierte Fans. Leicht hat es der frischgebackene Papa wahrlich nicht. Was für ein Stress! Was für ein Gestreite und Gezerre um den SHERLOCK-Darsteller! Als würde er das Stück allein spielen.
Prinz in Jeans
Der Prinz von Dänemark Hamlet (Benedict Cumberbatch) sieht des Nachts den Geist seines Vaters, dem jüngst verstorbenen König (Karl Johnson), der ihm eröffnet, er sei vom jetzigen König, seinem Bruder, ermordet worden. Zeitgleich feiert am Hof der neue König Claudius (Ciarán Hinds) seine Vermählung mit Gertrude (Anastasia Hille), der Witwe des alten Königs. Claudius schickt zwei Gesandte mit einer diplomatischen Note nach Norwegen, verabschiedet Laertes (Kobna Holdbrook-Smith), den Sohn des königlichen Ratgebers Polonius (Jim Norton) nach Frankreich und bittet Prinz Hamlet in Dänemark zu bleiben. Vor seiner Abreise warnt Laertes seine jüngere Schwester Ophelia (Sian Brooke) vor deren Liebschaft mit Hamlet. Als Polonius davon erfährt, untersagt er seiner Tochter den Kontakt mit Hamlet, doch der hat andere Probleme. Vom Erscheinen des Geistes erschreckt, verzweifelt Hamlet an der schnellen Heirat der Mutter nach dem Tod des Vaters. Er hegt Rachegedanken gegen Claudius und legt plötzlich ein verändertes Verhalten an den Tag. Polonius hält Hamlets Liebe zu Ophelia für den Grund, doch in einem belauschten Gespräch zwischen den Beiden erklärt Hamlet, er habe keinerlei Interesse an Ophelia, was diese furchtbar kränkt und erschreckt. Nach und nach erkennt Claudius, das Hamlet um die Wahrheit des Todes des alten Königs weiß und nun um sein eigenes Leben fürchten muss. Deshalb schickt er ihn ins Ausland, doch Hamlet kehrt zurück und bekommt die Möglichkeit zur Rache.
HAMLET war ein finanzieller Erfolg. Die Produktionsfirma rechnet mit → 1,7 Million Pfund Einnahmen durch die Kinoübertragung (nur UK und Irland!), allerdings haben manche Kinos noch keine Zahlen gemeldet. Die Zwei vor dem Komma ist also nur eine Frage der Zeit. Benedict Cumberbatch, der Kassenmagnet, scheint aus irgendeinem Grund im Moment der kleinste gemeinsame Nenner für Zuschauer zu sein. → „Cumberbitches anywhere? Die einen outen sich als Theaterwissenschaftler und finden das Stück ‚ziemlich platt‘, andere geben zu, vom ersten Moment an geweint zu haben. ‚Als er anfing zu heulen, musste ich mitheulen‘, sagt eine junge Frau. Aber nur wegen Cumberbatch gekommen zu sein, will keine zugeben.“ Der Kommentar zur Live-Übertragung von Carolin Gasteiger in der Süddeutschen fasst gut die Atmosphäre zusammen. Aber geht es hier überhaupt noch um das Stück oder nur um den Hauptdarsteller? Die Autorin dieser Zeilen ist ja bekanntermaßen auch ein Fan des Schauspielers, wenn auch nicht einer von der Sorte, der vor dem Barbican Schauspielernamen brüllen würde, sich freiwillig dem Geschupse und Gedränge einer nach Autogrammen und Selfies gierenden Menschentraube aussetzen oder sich selbst „Cumberbitch“ nennen würde. (Es soll ja tatsächlich noch eine Minderheit geben, die ihn wegen seiner schauspielerischen Leistungen mag und nicht wegen den hohen Wangenknochen oder der tiefen Stimme oder anderen zweifelhaften Begründungen.) Vielleicht braucht es auch ein paar Hundert Kilometer Abstand zur britischen Landeshauptstadt um eine sachliche Kritik zu formulieren. Vielleicht aber auch einfach nur einen kritische Distanz zum untersuchten Objekt.
Zunächst fällt das opulente Setdesign von Es Devlin ins Auge, die prachtvolle Festtafel mit Geweihen, Vögeln und Fellen. Drumherum viele großen Türen und Gänge wie in einem verwunschenen Schloss. Ansonsten gibt es keine großen Szenenwechsel. In der zweiten Hälfte wird lediglich der Boden mit Schutt und Asche bedeckt und fertig ist das Schlachtfeld. Diese Metapher passt auch gut zum Verhältnis zwischen Claudius und Hamlet, aber auch für die generell angespannte Lage. Benedict Cumberbatch spielt erwartungsgemäß gut, auch wenn das ständige Weinen etwas übertrieben wirkt. Besonders glänzt er, wenn er den bockigen Jungen gibt, der in seiner Trauer über den verlorenen Vater trotzig auf dem Tisch tanzt oder im Minischloss aus Kindertagen Soldat spielt. Witziger Kniff bei der Besetzung, ob bewusst oder unbewusst: Karl Johnson spielte in FRANKENSTEIN den hilfsbereiten De Lacey, der dann aber im weiteren Verlauf von der Kreatur, u.a. gespielt von Benedict Cumberbatch, verbrannt wird. In HAMLET kehrt er als Geist und Totengräber wieder und sucht seinen „Peiniger“ sozusagen heim. Es braucht eine Weile bis sich Ciarán Hinds als starker Gegenspieler entwickelt. Erst gegen Ende der ersten Hälfte kommt sein Machthunger stärker heraus und auch die Angst vor Hamlet kann Hinds hier besser ausspielen. Sian Brookes Ophelia wirkt zunächst unscheinbar. Erst in der zweiten Hälfte, als Ophelia ebenfalls dem Wahnsinn verfällt, liefert sie eine hammermäßige Leistung ab. Ähnliches gilt auch für Anastasia Hille, die Hamlets Mutter spielt. Auch sie hat eine nur eine Szene, wo sie zeigen kann, was sie kann, nämlich als Hamlet seine Mutter mit der schnellen Hochzeit und zahlreichen Vorwürfen konfrontiert.
Auf große Effekte wurde weitestgehend verzichtet. Gelungen ist der Slow-Motion-Moment, in dem Hamlet Laertes ersticht. Über die Kostüme kann man streiten. Hamlet in Jeans und Hoodie wird dem ein oder anderen Traditionalisten nicht gefallen. Am Ende der ersten Hälfte hat sich das Stück etwas gezogen, hier hätte man sicherlich anders aufteilen könne. Am Ende der Vorstellung rief ein sichtlich mitgenommener Benedict Cumberbatch die Zuschauer auf, an die Wohltätigkeitsorganisation Save the children zu spenden, um Flüchtlingskindern zu helfen. Bei all dem Trubel leider nur eine kleine Randnotiz.
Drama, Baby, Drama – vor und neben der Bühne (5/6)
Trailer: © NT Live
das unqualifizierte vorweg: benedict cumberbatch <3
und nun das wichtige: Huhu! wir haben dich nominiert für den Liebster Blog Award! http://wp.me/p4sQdS-Ik
Haha, ich wusste, dass einige Bloggerkollegen sich das bestimmt nicht entgehen lassen und einen Beitrag dazu schreiben. Und ich wusste, dass sich unsere Meinungen bestimmt hier und da ähneln und überschneiden – ich muss ein Wahrsager sein!
Den Trubel im Vorfeld habe ich nur teils mitbekommen. Cumberbatchs Aufruf beispielsweise, den Rest eher weniger. Irgendwie finde ich es aber immer etwas traurig, wenn der Fankult alleine die Gemüter ins Theater bewegt :-/ Ich meine … ich mag ihn und seine Leistung auch sehr, aber in Tränen ausbrechen, weil man so hart fangirlt … ähm. Naja.
Da kann ich dir nur zustimmen. Ich bin auch nicht in Tränen ausgebrochen.
Schöne Kritik! 🙂 Meine steht ja noch aus, mal sehen, ob ich sie noch vor meiner zweiten Sichtung – dann LIVE vor Ort im Barbican – schaffe, oder dann erst danach die beiden Erlebnisse miteinander vergleiche.
Endlich mal jemand, der Ophelia mochte – ich fand ihre Leistung nach der Pause auch brillant! Die einzige Szene, bei der ich geweint habe, war tatsächlich die, als Ophelia in ihren Tod geht – m. E. eine der stärksten Szenen in diesem Stück!
Den Slow-Motion-Moment am Ende mochte ich dagegen nicht so gern. Irgendwie hat mich die ganze Schluss-Szene ziemlich kalt gelassen. Wenn man die Szene mit Frankensteins „Fast-Tod“ (Cumberbatch und Jonny Lee Miller lagen sich in den Armen) mit der Todesszene zwischen Hamlet und Horatio vergleicht, fällt Hamlets Tod gefühlsmäßig ganz schön ab. Finde ich zumindest.
Ja, mir gefiel (die Sterbeszene) in FRANKENSTEIN auch besser. Aber rein optisch war die Slow-Motion-Szene durchaus ein Hingucker.