Im letzten Jahr haben die Kammerspiele mit dem Theaterstück LAND schon einmal einen Ausflug in die bayerische Landwirtschaft gemacht. Dieser Theaterabend hat mir damals aber nicht besonders gefallen. Als nun Maximilian Schafroth, frisch gekündigter Fastenprediger vom Nockherberg, ankündigte, ein Stück darüber an den Münchner Kammerspielen aufzuführen, war ich sehr gespannt auf das Ergebnis. Denn im Gegensatz zum Autor von LAND wuchs Schafroth tatsächlich auf einem Bauernhof in Stephansried auf. Die Handlung basiert an manchen Stellen auch auf Schafroths Leben. WACHSE ODER WEICHE spielt in Stefansdingen. Hier leben die beiden Bauern Andi (Maximilian Schafroth) und Reto (Stefan Merki) Acker an Acker. Andi führt als konventioneller Landwirt ein Leben zwischen 50 Milchkühen und noch mehr Excel-Tabellen. Die Frau ist ihm längst davongelaufen. Reto dagegen hat es aus der Schweiz rübergeschafft und betreibt einen Biohof. Seinen Hof nennt er einen „Ein-Frucht-Betrieb“. Die Frucht, ein Kürbis, erfährt hier eine Eins-zu-eins-Betreuung, pro Frucht ein Mitarbeiter. Dann wären da noch die Gutsbesitzerin Frau Pöschinger (Traute Hoess), die an Andi verpachtet und an Reto verkauft hat, ihr Neffe Alfons (Elias Krischke), der zum Detoxing aus der Stadt auf das Gut zurückkehrt, und BayWa-Mitarbeiter Michi. Michi will Andi zunächst die neueste Chemiekeule andrehen, nebst Goody-Bag mit dem Dosenprosecco einer Agrar-Influencerin, versteht sich. Doch dann stellt er fest, dass sich unter dem Acker ein Kobalt-Vorkommen befindet und will mit Andi das Geschäft ihres Lebens machen. Reto geht dazwischen, die Gutsbesitzerin will mitverdienen, und schließlich kommt alles ganz anders.

Ein Heimspiel für Schafroth
Bevor WACHSE ODER WEICHE überhaupt richtig losgeht, steht Schafroth entspannt schon mit einer Tasse in der Hand im Zuschauerraum herum. Er begrüßt die Leute, zeigt dem Theaterpublikum teilweise auch, wo ihre Sitzplätze sind. Wie ein gut gelaunter Gastwirt, der sich noch Zeit für seine Gäste nimmt und dich mit „Wie immer?“ begrüßt, sobald du den Gastraum betrittst. Es wirkt wie ein Heimspiel und irgendwie ist es das auch. Im Hintergrund spielt ein musikalisches Trio aus Harfe, Klarinette und Geige/Akkordeon bayerische Volkslieder. Die Stimmung im Saal ist bestens. Diese Wohlfühl-Atmosphäre zieht sich durch den gesamten Abend. Gleichermaßen wird auch das Theaterpublikum gut abgehört. Im ersten Drittel unterbricht Schafroth die Handlung bewusst und macht erst einmal eine „Stückeinführung“, in der er erklärt, was eine Zapfwelle ist. Das Sponsoring für den Abend sei von den Firmen Fuchs Gülletechnik und BayWa übernommen worden, behauptet er, daher käme in der Handlung ein BayWa-Mitarbeiter vor, der im Laufe der Geschichte zum Helden wird. Natürlich kommt es aber ganz anders.

Absurditäten und Realitäten
Die vierte Wand existiert in diesem Stück nicht. Immer mal wieder fordert Schafroth das Publikum zum Mitmachen auf. Mal zum Mitsingen, mal darf das Publikum eine Frage beantworten. Und dann springt er wieder zurück in die Handlung des Stücks. Hin und wieder werden auch Meta-Stichworte wie „Pumuckl“ (Schafroth lieh diesem in den Neuverfilmungen die Stimme) oder „Nockherberg“ angesprochen. Kann man jetzt unpassend finden, aber da sich WACHSE ODER WEICHE nicht so richtig in eine Schublade stecken lässt, ist das gar nicht so schlimm. Das Stück ist kein reiner Theater-Abend, kein reines politisches Kabarett und kein reiner Musik-Abend. Es ist „Eine Theater-, Kabarett-, Musik-Fusion“, wie es auch im Untertitel des Abends heißt. Und die ist ausgesprochen lustig. Zu Beginn hagelt es fast im Minutentakt Pointen. Ich bin vor Lachen zusammengebrochen, als während der Bankenfusion der Preisträger vom Bank-gesponserten Kunstpreis „ARTgerecht“ eine Kunstperformance aufgeführt hat. Elias Krischkes ernstes Gehampel untermalt vom synthetischen, wehmütigen Sound eines Theremins ist absurd. Und doch steckt in jedem Moment ein kleines Stückchen Wahrheit. Als gebürtiges Dorfkind, das nun schon 8 Jahre in der Großstadt lebt, habe ich mich da wirklich gut abgeholt gefühlt.

Gegensätze ziehen sich an, oder?
Die Gegensätze zwischen Stadt und Land werden in Schafroths Stück verhandelt, aber auch das Verhältnis von konventioneller Landwirtschaft und Bio-Bauern. Stefan Merki, gebürtiger Schweizer, darf hier mit schwiizer Akzent den naturverbundenen Demeter-Bauern geben, während Schafroth als konventioneller Landwirt einen Pakt mit dem BayWa-Mitarbeiter seines Vertrauens, Michi (Martin Weigel), eingeht. Dieses Spannungsfeld wird nicht künstlich konstruiert, sondern basiert auf der persönlichen Erfahrung von Schafroth. Die Excel-Tabellen, Nachweispflichten und die nicht enden wollende Arbeit – all das ist die Realität in der Landwirtschaft. So gelungen der Abend insgesamt ist – ganz ohne Schwächen kommt auch WACHSE ODER WEICHE nicht aus. Die Inszenierung hüpft an manchen Stellen etwas unruhig von einer Musiknummer zurück zu klassischem Schauspiel, dann wieder zu einer Frage ans Publikum. Das sorgt auf der einen Seite für Auflockerung, auf der anderen wirkt das Stück aber dadurch etwas fragmentarisch. Der Abend lässt sich nicht hundertprozentig greifen, weil er kein klares Genre bedient. Dieses Spiel mit den verschiedenen Genres hat zwar durchaus seinen Charme, aber sie macht es dem Publikum auch nicht immer leicht, einen klaren Zugang zu finden und herauszufinden, was hier die Botschaft sein soll. Ist es eine Kritik am Kapitalismus und der Landwirtschaft? Ist es eine satirische Aufarbeitung von realen Ereignissen? Ein bißchen ist WACHSE ODER WEICHE alles davon.
Die nächsten Termine von WACHSE ODER WEICHE sind 15.12.2025 / 18.01.2026 / 30.01.2026 / 14.02.2026 / 18.03.2026.
8.5/10



