Die Briten lieben ihre Anführer. Egal ob Premierminister wie Winston Churchill (DARKEST HOUR) oder gekrönte Häupter wie Elisabeth II. (THE QUEEN). Auch wenn es schon einige Filme – und aktuell auch eine ITV-Serie über die jungen Jahre von Königin Victoria – gibt, erzählt Regisseur Stephen Frears mit VICTORIA & ABDUL eine unbekanntere Episode aus dem Leben der Regentin. Im Jahr 1887 gibt es zu Ehren der Königin und deren 50.Thronjubiläums ein prachtvolles Fest.
Doch Victoria (Judi Dench) findet keine Freude an den Empfängen und Treffen mit ausländischen Adeligen. Ihre Kinder sind aus dem Haus. Ihren Sohn Bertie (Eddie Izzard), der sie beerben wird, hält sie für unqualifiziert. Während eines Banketts lernt sie den indischen Bediensteten Abdul Karim (Ali Fazal) kennen. Seine unkonventionelle Art weckt die Lebensgeister der Königin. Als sie Abdul in ihr Gefolge aufnimmt, sind Bertie, der Arzt Dr. Reid (Paul Higgins) und Lady Churchill (Olivia Williams) entsetzt. Abdul wird der “Munchi”, der Lehrer, der Königin. Zwischen Victoria und Abdul entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Obwohl Victoria den Titel Kaiserin von Indien trägt, war sie noch nie dort und hat sich auch nicht mit der dortigen Kultur beschäftigt. Der Munchi bringt ihr alles über seine Heimat bei. Doch das vertraute Verhältnis zwischen Monarchin und Diener erzeugt jedoch schnell Missgunst und Neid am Hofe.
Kutschfahrt statt Galopp
Das Erzähltempo von VICTORIA & ABDUL gleicht einer gemächlichen Kutschfahrt. Man schwebt durch die Szenerie und ab und an bleibt man halten um die schöne Landschaft zu bewundern. Es hätte der Geschichte gut getan auch mal hin und wieder einen Galopp einzulegen. Obgleich Frears auf fantastische Schauspieler zählen kann, gelingt es ihm nicht Spannung aufzubauen bzw. diese zu halten.
Das liegt aber weniger an den Schauspielern. Judi Dench ist großartig als Königin Victoria. Besonders die genervte Miene zu ihren königlichen Pflichten ist herrlich komisch. Auch das Verhältnis zu Ali Fazal ist klasse. Man nimmt beiden sofort ab, dass sie sich gut verstehen. Und dennoch wirken alle Szenen sehr statisch. Wie Pflichtpunkte auf einer Stadtrundfahrt. Kurz aussteigen, was ansehen, sich kurz dazu erzählen lassen, warum das jetzt wichtig ist, dann wieder einsteigen und zur nächsten Sehenswürdigkeit. So kommt aber keine Spannung auf. Zudem lässt schon die Einblendung „based on true events . . . mostly“ zu Filmbeginn schon erahnen lässt, dass hier die wahren Begebenheiten ein bißchen zurecht gerückt wurden. (Für alle, die sich für die historischen Fakten interessieren, empfehle ich – wie so oft – die Seite → History v Hollywood)
Oscarnominierungen für Kostüm und Make-up
Sicherlich punktet der Film mit imposanten Drehorten, da hauptsächlich an Originalschauplätzen gedreht wurde. Judi Dench, die bereits in IHRE MAJESTÄT MRS. BROWN (1997) Königin Victoria spielte, betonte in einem Interview, dass erstmal in Osborne House auf der Isle of Wight gedreht werden konnte.
1997 stand das Gebäude nur für Außenaufnahmen zur Verfügung. Für die ausgefallenen Kostümen und Hair & Make-up gab es in diesem Jahr zwei Oscarnominierungen. Auch wenn die Nominierungen berechtigt sind, ist es allerdings wahrscheinlicher, dass die Preise an SHAPE OF WATER oder DARKEST HOUR gehen werden. VICTORIA & ABDUL hätte ruhig bestimmter erzählt werden müssen. Die Parallelen zu Fragestellungen der heutigen Gesellschaft (Angst vor der „Islamisierung des Abendslandes“, die Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland.“, Angst vor dem Fremden) sind nicht von der Hand zu weisen. Hier hätte man durchaus noch einen Kniff einfügen können, doch auch diese Chance lässt Frears verstreichen. So bleibt VICTORIA & ABDUL am Ende entspanntes, historisches Wohlfühlkino. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
3.5/6 bzw. 6/10
Der Film erscheint am 01.02.2018 auf DVD und Blu-Ray. Zur Erstellung der Kritik wurde mir von Universal Pictures freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hatte keinen Einfluss auf meine Wertung.
Trailer: © Universal Pictures