Sauhund (2025)

Die Münchener Kammerspiele öffnen einmal im Monat ihre Türen für Offene Proben. Für wenig Geld kann man hier einem Theaterstück beim Entstehen zusehen. So saß ich im Juni zur zweiten Hauptprobe von SAUHUND auf den billigen Plätzen im Zuschauerraum der Kammerspiele. Und im Oktober dann nochmal in der finalen Fassung in der vierten Reihe. Der gleichnamige Roman von Lion Christ wurde von Regisseur Florian Fischer inszeniert und spielt im München der frühen 80er Jahre. Im Zentrum der Geschichte steht Flori (Elias Krischke). Er wohnt in Wolfratshausen und wächst in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Bald bahnt sich zwischen heimlicher Faszination für Frauenkleider und dem Wunsch nach einem Leben in der Großstadt auch die erste Romanze mit einem Mann (Edmund Telgenkämper) an. Doch die Gesellschaft duldet keine homosexuellen Beziehungen. Die AIDS-Pandemie greift um sich. Flori zieht es in die Großstadt München. Und in die Arme anderer Männer.

Szenenbild aus SAUHUND - Bühnenbild von Robin Metzer - © Armin Samilovic
Edmund Telgenkämper und Elias Krischke im Bühnenbild von Robin Metzer – © Armin Samilovic

Erinnerungskultur

Robin Metzers Bühnenbild setzt mit seiner ersten Arbeit an den Münchener Kammerspielen auf große Bilder. Überdimensionale Impressionen aus dem Alltag schwulen Lebens in den 80er Jahren sind im Hintergrund zu sehen, wie eine Wand mit übergroßen Bilderrahmen. Sehr viel detaillierter und kleinteiliger ist die Sprache. Die einzelnen Figuren erzählen sehr genau in der Vergangenheitsform, was ihnen in welcher Situation gerade durch den Kopf ging und wie sie sich dabei gefühlt haben. Vermischt wird dann die persönliche Lebensgeschichte von Flori auch vereinzelt mit historischen Sprachaufnahmen aus dem Off, besonders, als es um AIDS geht. Besonders die Wortwahl des → CSU-Politikers Hans Zehetmair, der Homosexualität als krankhaft bezeichnete und erklärte, diese „Entartung“ müsse „ausgedünnt werden“, bleiben aufgrund ihrer verbalen Härte im Gedächtnis. Die Geschichte von Flori, der hier als Stellvertreter seiner Generation zu verstehen ist, ist dagegen geprägt von Liebe und sexueller Freiheit.

Szenenbild aus SAUHUND - Flori (Elias Krischke) - © Armin Samilovic
Flori (Elias Krischke) – © Armin Samilovic

Eine bayerische Geschichte?

Nach der Hauptprobe war im Anschluss noch der Wechsel zwischen hochdeutschen und bayerischen Passagen ein diskutiertes Thema im Testpublikum. Nicht alle mochten das, da man den drei Darstellern anmerkte, dass sie mit dem Bairisch fremdelten. In der finalen Fassung beschränkt sich das Bairisch auf ausgewählte Begriffe, die man schlecht ins Hochdeutsche übersetzen kann oder die den Dreien leicht über die Lippen gehen. Und mich hat das Weglassen überhaupt nicht gestört. Man muss auch gar nicht permanent die Heimat von Flori thematisieren. Seine Geschichte ist universell. Ähnlich wie schon bei der Hauptprobe saß ich gespannt davor und konnte mit allen Figuren etwas anfangen. Trotzdem gibt es im letzten Drittel kleinere Längen. Momente, die man noch etwas straffer hätte erzählen können.

Szenenbild aus SAUHUND - Münchner Kammerspiele - Flori (Elias Krischke) - © Armin Samilovic
Flori (Elias Krischke) – © Armin Samilovic

Die glorreichen Drei

Elias Krischke hat in diesem Jahr den Förderpreis des Vereins zur Förderung der Münchner Kammerspiele e.V. erhalten. Wer SAUHUND gesehen hat, kann verstehen, warum. Die Sehnsucht nach Nähe; die Naivität, die später teilweise auch Überheblichkeit weicht; der Wunsch dazuzugehören. Da steckt wahnsinnig viel drin in dieser Rolle und Krischke spielt das mit einer Leichtigkeit, die ansteckend und auch sehr sympathisch ist. Gerade im ersten Drittel hab ich mich mehrfach dabei ertappt, wie ich grinsend davor saß und Flori beim Erwachsenwerden zugeschaut habe. Elias Krischke hat als Flori nur eine Rolle zu spielen. Seine Spielpartner hingegen haben da mehr zu leisten. Annette Paulmann und Edmund Telgenkämper spielen nämlich alle verbleibenden weiblichen und männlichen Rollen. Annette Paulmann wechselt virtuos zwischen der alten Frau Eichinger, Floris Mutter und seiner Freundin Theresa, während Edmund Telgenkämper mal ernst, mal verspielt die verschiedenen Liebhaber von Flori spielt.

Szenenbild aus SAUHUND - Edmund Telgenkämper und Elias Krischke in SAUHUND - © Armin Samilovic
Edmund Telgenkämper und Elias Krischke in SAUHUND – © Armin Samilovic

Relevant und packend

Dass die Kammerspiele ein Stück wie SAUHUND in den Spielplan packen, kommt natürlich nicht von ungefähr. Im Juni 2025 wurde versucht die Teilnehmer des Budapest Pride March mit Geldstrafen von bis zu 500 Euro von einer Teilnahme abzuschrecken. Aber auch hierzulande nehmen Beleidigungen und Gewalttaten gegenüber LGBTQI+ Personen zu. SAUHUND ist glücklicherweise auch nicht als trauriges AIDS-Drama konzipiert, obgleich die Pandemie immer mal wieder thematisch vorkommt. Es ist mehr wie eine Aneinanderreihung von Erinnerungen konzipiert. Die gleiche Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven. Und voller Hoffnung. Und in Zeiten wie diesen können wir alle davon ein bisschen gebrauchen.

Gesehen in der Offenen Probe (2. Hauptprobe) am 02.06.2025 und am 18.10.2025 in den Münchner Kammerspielen

9/10

Bewertung: 9 von 10.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert