Pygmalion (2024)

In einer Zeit, in der künstliche Intelligenz zunehmend unseren Alltag beeinflusst, präsentiert das Residenztheater eine Neuinterpretation von George Bernard Shaws Klassiker PYGMALION. Diese Inszenierung hinterfragt gesellschaftliche Normen und die Rolle von Technologie bei der Gestaltung unserer Identität. Im Zentrum steht der Phonetik-Professor Henry Higgins (Robert Dölle), der mit seinem Freund Pickering (Florian Jahr) wettet, aus der ungebildeten Blumenverkäuferin Eliza Doolittle (Anna Bardavelidze) innerhalb von sechs Monaten eine Dame der gehobenen Gesellschaft zu machen. Durch intensives Sprachtraining und Umgangsformen transformieren seine Kollegin Pearce (Maya Haddad) und er Eliza nicht nur äußerlich. Eliza entwickelt sich von einer frechen, selbstbewussten jungen Frau zu einer feinen Dame, die jedoch mit ihrer neuen Rolle und den Erwartungen ringt. Auch Alfred Doolittle (Delschad Numan Khorschid), Elizas Vater, profitiert überraschend von Higgins‘ Experiment.

Szenenbild aus PYGMALION (2024) - Residenztheater München - Higgins (Robert Dölle) möchte Liza (Anna Bardavelidze) überzeugen am Projekt teilzunehmen. Picking (Florian Dölle) und Pearce (Maya Haddad) versuchen sie ebenfalls zu überzeugen. - © Birgit Hupfeld
Higgins (Robert Dölle) möchte Liza (Anna Bardavelidze) überzeugen am Projekt teilzunehmen, ebenso wie Picking (Florian Dölle) und Pearce (Maya Haddad). – © Birgit Hupfeld

Modernisierung des Stoffs

Das Thema KI ist im Moment in aller Munde. Die Modernisierung des Stücks durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz ist eine interessante Wendung für einen Stoff aus dem Jahr 1913. KI-Algorithmen wählen Eliza aus einer Vielzahl möglicher Kandidaten aus. Eine Parallele zu heutigen Technologietrends. Dieser Aspekt macht das Stück besonders interessant, da es das Publikum dazu anregt, über die Rolle von Technologie in der Bestimmung menschlicher Schicksale nachzudenken. Man denke hier auch an echte → Algorithmen, die über berufliche Karrieren oder ein Strafmaß („Haft oder Bewährung“) entscheiden. Allerdings gibt das Stück auch kritische Anmerkungen zur Umsetzung einiger Themen. Die Vermengung verschiedener Themenkomplexe – von künstlicher Intelligenz über soziale Mobilität bis hin zur Flüchtlingskrise – kann stellenweise überladen wirken. Die zentrale Botschaft des Stücks verwässert dadurch etwas. Insbesondere der Metakommentar auf die Bühnenfassung gelingt nicht vollständig.

Szenenbild aus PYGMALION (2024) - Residenztheater München - Picking (Florian Jahr) und Pearce (Maya Haddad) versuchen Liza (Anna Bardavelidze) für das Projekt zu begeistern. - © Birgit Hupfeld
Pickering (Florian Jahr) und Pearce (Maya Haddad) versuchen Liza (Anna Bardavelidze) für das Projekt zu begeistern. – © Birgit Hupfeld

Der Prof und seine Muse

Robert Dölle brilliert in seiner Darstellung des Henry Higgins, der sowohl Züge eines Antifeministen als auch eines Victor Frankenstein mit Gottkomplex zeigt. Dölle vermittelt eindrucksvoll, wie Higgins‘ Überzeugung, seine Sprache sei das Maß aller Dinge, das gesamte Geschehen dominiert. Seine Performance ist nicht nur glaubwürdig, sondern setzt sich auch kritisch mit den dunkleren Facetten seiner Figur auseinander. Der restliche Cast bemüht sich redlich Dölle etwas entgegenzusetzen. Am ehesten gelingt das noch Anna Bardavelidze. Sie lässt die Transformation der lässigen Blumenverkäuferin zur beeindruckenden Rednerin, die Goethes Gedicht über Pygmalion in feinstem Deutsch rezitieren kann, mühelos wirken. Pearce (Maya Haddad), Pickering (Florian Jahr) und Alfred Doolittle (Delschad Numan Khorschid) bekommen leider zu wenig zu tun. Die Chemie zwischen den Darstellenden ist dennoch spürbar.

Szenenbild aus PYGMALION - Das Bühnenbild von Mitra Nadjmabadi - © Birgit Hupfeld
Das Bühnenbild von Mitra Nadjmabadi – © Birgit Hupfeld

„Lern‘ erstmal richtig Deutsch!“

Ein besonders provokatives Element der Inszenierung ist die Darstellung, wie Software über menschliche Identität entscheidet. Gegen Ende des Stücks wird als Anwendungsfall ein Flüchtling, der seine Herkunft verschleiern möchte, weil er aus einem „sicheren Herkunftsland“ nach Deutschland kommt, aufgemacht. Durch eine KI-Lösung, die aber Sprechmuster präzise erkennt, sei es dann möglich die tatsächliche Herkunft eines Flüchtlings zu bestimmen. Spontan fällt mir der Satz „Lern‘ erstmal richtig Deutsch“ ein. Eine Formulierung, die gerne Richtung Flüchtlinge gerufen wird. Hier wird eine Bringschuld impliziert, die noch komplizierter wird, wenn diese Bringschuld mit dem eigenen Duldungsstatus verknüpft ist. Diese Thematik spiegelt aktuelle gesellschaftliche Debatten wider und wirft kritische Fragen auf, wer letztendlich über Abschiebungen entscheiden soll. Mensch oder doch Maschine? Insgesamt bietet die Aufführung von PYGMALION eine reichhaltige, wenn auch manchmal überfrachtete Diskussionsanregung, verpackt in einer visuell ansprechenden Produktion.

Gesehen am 11.05.2024 im Cuvilliéstheater

8/10

Bewertung: 8 von 10.

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