Nach 12 Jahren Bühnenabstinenz kann man nun Mark Strong mal wieder im Theater bewundern. Er habe sich nicht bewusst dazu entschieden, es habe einfach kein Stück gegeben, dass ihn wirklich gefesselt habe (→ Interview mit Mark Strong). Doch dann kam das Angebot für A VIEW FROM THE BRIDGE von Arthur Miller und die Tragödie war wohl interessant genug um auf die Bühne zurückzukehren. Als Erzähler des Stücks fungiert dabei der Anwalt Mr. Alfieri (Michael Gould). Dieser erzählt dem Publikum von einem seiner Fälle, vom Hafenarbeiter Eddie Carbone (Mark Strong). Dieser wohnt in Red Hooks, Brooklyn, zusammen mit seiner Frau Beatrice (Nicola Walker) und seiner 17-jährigen verwaisten Nichte Catherine (Phoebe Fox), für die er wie ein Vater ist. Eines Tages tauchen Beatrices Cousins Marco (Emun Elliott) und Rodolpho (Luke Norris) auf; sie sind illegal ins Land gekommen und suchen jetzt Arbeit. Zunächst verläuft alles prächtig, Eddie nimmt Marco und Rodolpho in seinem Haus auf und beschafft ihnen Arbeit, doch als Catherine und Rodolpho sich näherkommen, versucht Eddie alles um die Beiden auseinander zu bringen. In seiner Verzweiflung trifft er sich mit dem Anwalt, doch auch der versichert ihm, es spräche nichts gegen die Verbindung. Während Beatrice versucht ihren Mann zu beruhigen, verloben sich Catherine und Rodolpho. Eddie versucht verzweifelt Catherine davon zu überzeugen, Rodolpho sei doch als illegaler Einwanderer bloß hinter einer amerikanischen Staatsbürgerschaft her. Doch auch das kann Catherine nicht umstimmen. In seiner Verzweiflung übertritt Eddie immer mehr Grenzen um Catherine an sich zu binden.
„The law isn’t interested in this!“
Das Set ist sehr minimalistisch gehalten, es gibt keine Möbel und keine Props. Einzig Wasser tropft zweimal von der Decke. Alle Schauspieler spielen fast ausnahmslos barfuß. Durch die fehlenden Elemente sind manche Szenen nicht immer gleich klar, zumindest für Nichtkenner der Geschichte. Der belgische Regisseur Ivo van Hove geht dadurch auf einige Aspekte auch nur am Rande ein. So wird nur ansatzweise klar, dass Eddie Rodolpho für schwul hält („He sings. He cooks. He makes dresses.“) und der Kuss zwischen den beiden ist daher auch eher ein Lacher als ein „Beweis“ für dessen Homosexualität. Auch die Thematik der illegalen Einwanderung geht dann etwas im allgemeinen Gerangel um Catherine unter. Auch die Musik ist sehr einfach gehalten. Für die ruhigen und spannenden Momente reicht ein Schlag auf eine Trommel kombiniert mit dem starken Spiel des Castes völlig aus. Für die lauten Töne wurde das Requiem des französischen Komponisten Gabriel Fauré benutzt (→ Hörbeispiel), welches allein schon durch den Titel (Requiem = Totenmesse) auf das tragische Ende hinweist.
Fragiles Gefüge
Sieht man sich den Cast näher an, dann überzeugen neben Mark Strong besonders die beiden weiblichen Hauptrollen, gespielt von Phobe Fox und Nicola Walker, die Themen wie das Erwachsenwerden und die Emanzipation der Frau verhandeln, und der Kit sind, der das fragile Gefüge der Figurenkonstellationenen zusammenhält. Sie treten häufig als Vermittler und Schlichter auf, und versuchen gleichzeitig ihren eigenen Platz zu finden. Mark Strong schafft es so viel Schärfe in seinen Blick zu legen, dass man die Anspannung am eigenen Körper spürt und mit offenem Mund im Kinosessel sitzt. Sein Eddie ist definitiv keine Figur, die man schnell wieder vergisst. Die übervorsichtige, fürsorgliche und väterliche Art nimmt man ihm genauso ab wie den kaltherzigen Racheengel, der Respekt einfordert und schließlich seine eigenen Ideale dem Wahn opfert. Das wohl stärkste Bild des Stücks ist der Blutregen, der sich in einer der letzten Szenen über dem eng umschlungenen Cast ergießt. Ein Bild, das lange im Kopf bleibt und zum Nachdenken anregt.
Minimalistisches, aber starkes Bühnencomeback (5/6)
Trailer: © National Theatre
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