Filme über Manipulation und Lüge gibt es genügend. Filme über Lehrerinnen, die sich von minderjährigen Schülern verführen lassen (oder umgekehrt) auch. Doch NOTES ON A SCANDAL ist wirklich atemberaubendes Brit-Kino, was zum einen an der gleichnamigen Buchvorlage von Zoe Heller als auch an der Umsetzung unter der Regie von Richard Eyre liegt. Da sitzt eine Frau auf einer Bank. Man sieht eigentlich nichts, denn Nebel wabert über London. Diese Frau ist Lehrerin Barbara Covett (Judi Dench). „Die Leute haben mir immer ihre Geheimnisse anvertraut, aber wem vertraue ich meine an? Dir!“ Damit ist ihr Tagebuch gemeint, dass sie schon jahrelang schreibt. Das neue Schuljahr beginnt und die neue Kunstlehrerin Sheba (Cate Blanchett) kommt an die Schule, an der Barbara unterrrichtet. Barbara ist von Sheba hingerissen und hält sie für ihre Seelenverwandte. Zu ihrer Begeisterung werden die beiden Freundinnen. Als Barbara sieht wie Sheba mit dem 15-jährigen Schüler Steven Connolly (Andrew Simpson) eine Affäre hat, nutzt sie dieses Wissen um sich die Zuneigung von Sheba zu sichern.
Manipulation einer Seelenverwandten
Judi Dench ist einfach nur göttlich in dieser ungewohnt bösen Rolle. Den pessimistischen Blick ihrer Rolle verkörpert sie perfekt. „Kinder sind wie wilde Tiere“, sagt sie, „Testosterongeschosse“. Zu Beginn ist man noch geneigt, ihr zuzustimmen oder sie einfach nur als verbitterte Frau abzutun. Doch je weiter die Abhängigkeit von Sheba fortschreitet, so verstörender wird auch Barbaras Verhalten. In ihrem Tagebuch vergibt sie Sternchen für einen Tag, der für sie zufriedenstellend war. Cate Blanchett spielt die Zerissenheit zwischen ihrer Freundschaft zu Barbara, der Affäre zu Thomas und dem Leben in ihrer Familie fantastisch. Man kann mit ihr mitfühlen, auch wenn die Liebesaffäre zwischen Sheba und Steven nicht so klar ist. Bill Nighy gibt einen durchaus unterhaltsamen wie fürsorglichen Familienvater. Man fragt sich, warum Sheba damit nicht einfach zufrieden ist. Es werden zwar Gründe genannt, die allerdings sehr schwach sind. Warum muss es gerade ein Schüler sein? Warum – so fragt auch Bill Nighys Figur Richard – hat sie nicht mit ihrem Ehemann über ihre unzufriedene Ehe gesprochen? Ähnliches gilt auch für die Figur der Barbara. Sie weiß, dass Einsamkeit und „der chronische Mangel an Berührung“ ihr Problem sind. Warum tut sie dann nichts dagegen? Sie könnte in Behandlung gehen oder in einen Verein eintreten um unter Leute zu kommen.
Wenn man aber nicht so sehr ins Detail geht wie das die Autorin dieser Zeilen gerne macht, dann ist NOTES ON A SCANDAL ein hypnotisches wie fesselndes Psychodrama, das bis zur letzten Minute nichts an Spannung verliert. Die düstere Großstadtkulisse von London passt sich dem manipulativen Spiel der Handlung an. Barbaras Stimme, die das Geschehen aus dem Off kommentiert, gibt der dargestellten Situation durch ihre Wertung eine (neue) Bedeutung und Einordnung, was häufig seitens des Zuschauers zur Ablehnung ihre Figur führt. Barbara ist die klassische Antiheldin, aus deren Blickwinkel die Geschichte erzählt wird. Aber auch Sheba ist nicht nur die reine Sympathieträgerin. Und so zieht der Film den Zuschauer förmlich in seinen Bann. Man fiebert mit, wenn der nächste Schicksalsschlag, die nächste Lüge, das nächste Nichtstun zu sehen ist. Großes Kino.
Grandioses Psychodrama (5.5/6)
© Twentieth Century Fox