Hallow Road (2025)

Eine nächtliche Autofahrt, die sich anfühlt wie eine Ewigkeit – das kennt jeder von endlosen Urlaubsreisen oder dem verzweifelten Versuch, noch rechtzeitig zum Flughafen zu kommen. In HALLOW ROAD macht Regisseur Babak Anvari diesen Typ Autofahrt zum Schwerpunkt seines psychologischen Thrillers. Als ihre Tochter Alice (Megan McDonnell) mitten in der Nacht anruft und gesteht, dass sie im Wald jemanden angefahren hat, zögern Maggie (Rosamund Pike) und Frank (Matthew Rhys) keine Sekunde. Die besorgten Eltern springen ins Auto und machen sich auf den Weg zu ihrer Tochter. Doch was als Rettungsmission startet, wird ein Beziehungsstreit zwischen den Eheleuten. Während Maggie pragmatisch an die Sache herangehen will, hat Frank ganz andere Vorstellungen davon, wie man der Tochter am besten helfen kann. Die nächtliche Fahrt durch die Dunkelheit wird zur emotionalen Achterbahn, bei der die Grenzen zwischen Realität und Paranoia zunehmend verschwimmen.

Szenenbild aus HALLOW ROAD - Frank (Matthew Rhys) und Maggie (Rosamund Pike) machen sich Sorgen. - © XYZ Films
Frank (Matthew Rhys) und Maggie (Rosamund Pike) machen sich Sorgen. – © XYZ Films

Minimalistischer Thriller

Anvari beweist mit HALLOW ROAD, dass man für packende Spannung nicht zwangsläufig spektakuläre Actionszenen oder aufwendige Spezialeffekte braucht. Wer Filme mag, die hauptsächlich in Autos spielen – wie etwa NO TURNING BACK mit Tom Hardy – wird HALLOW ROAD lieben. Besonders gelungen sind auch die ersten Szenen im Film: Die Kamera schlendert durch eine verlassene Wohnung, und allein durch das, was man dort sieht – Familienfotos, berufliche Unterlagen, persönliche Gegenstände – erfährt man alles Wichtige über die Figuren, ihre Beziehungen und ihre Jobs. Kein einziges Wort fällt, und trotzdem hat man nach diesen ersten Minuten das Gefühl, diese Familie zu kennen. Doch recht schnell geht es dann ins Auto. Die Kammerspiel-Atmosphäre und das permanente „Was würde ich in dieser Situation tun?“ sorgt für dauerhafte Spannung. Das Auto wird zum mobilen Beichtstuhl, in dem alte Wunden aufgerissen und neue Geheimnisse enthüllt werden. Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie man mit so wenigen Drehorten und Requisiten eine derart fesselnde Geschichte erzählt. Im Grunde braucht es nur ein Auto, eine dunkle Straße und zwei erstklassige Schauspieler.

Szenenbild aus HALLOW ROAD - Frank (Matthew Rhys) und Maggie (Rosamund Pike) machen sich Sorgen. - © XYZ Films
Frank (Matthew Rhys) und Maggie (Rosamund Pike) machen sich Sorgen. – © XYZ Films

Auf engstem Raum

Rosamund Pike und Matthew Rhys spielen das sich sorgende Elternpaar wirklich ausgezeichnet. Auf dem begrenzten Platz haben sie keinen Platz, sich zu verstecken – jede Regung, jeder Blick, jede kleine Geste wird wichtig. Pike spielt Maggie als kontrollierte Frau, die versucht, die Situation rational anzugehen, während unter der Oberfläche die Panik brodelt. Rhys gibt Frank als Mann, der zwischen Beschützerinstinkt und eigener Hilflosigkeit zerrissen wird. Die Chemie zwischen den beiden stimmt perfekt – man glaubt ihnen sofort, dass sie seit Jahren verheiratet sind und genau wissen, welche Knöpfe sie beim anderen drücken müssen. Die Inszenierung grenzt stellenweise fast an ein Hörspiel. Viele Gesprächspartner von Maggie und Frank hört man nur über die Freisprechanlage – ihre Tochter Alice, die Polizei, mysteriöse Anrufer. Diese Stimmen aus dem Off verstärken das Gefühl der Isolation und Unsicherheit. Man sitzt mit im Auto, zwischen zwei Menschen im Ausnahmezustand.

Szenenbild aus HALLOW ROAD - Maggie (Rosamund Pike) - © XYZ Films
Maggie (Rosamund Pike) – © XYZ Films

Spannung ohne Schockmomente

HALLOW ROAD ist ein psychologischer Thriller, der von Anfang bis Ende spannend bleibt und beweist, dass weniger oft mehr ist. Mit minimalen Mitteln erschafft er maximale Beklemmung. Es ist definitiv kein Film für Zuschauer, die alles auf dem Silbertablett serviert bekommen wollen. Das Filmende lässt bewusst Raum für Interpretationen. Für Fans klarer Antworten ist das wahrscheinlich nichts. Und Genre-Fans bekommen hier auch keine neuartige Geschichte präsentiert. Und trotzdem war ich direkt nach dem Kinobesuch überfordert. Erst im Gespräch mit anderen haben wir gemeinsam eine plausible Erklärung für die Ereignisse gefunden. Diese Art des Erzählens hat ihren ganz eigenen Reiz: Man muss sich Aspekte selbst erschließen, Verbindungen ziehen, mitdenken. Der Film macht bestimmt nochmal richtig Spaß, wenn man ihn ein zweites Mal schaut. Mit dem Wissen, das man beim ersten Durchgang erworben hat, entdeckt man dann bestimmt plötzlich Details und Hinweise, die einem vorher entgangen sind.

HALLOW ROAD kann man aktuell über Amazon Prime Video leihen oder „kaufen“ (☝ Ein bei Amazon Prime getätigter ‚Kauf‘ legitimiert lediglich zu einer zeitlich unbestimmten Lizenznutzung, die bei geänderten Bedingungen wieder entzogen werden kann. Soll heißen: ein gekaufter Film gehört dir ggf. nicht für immer.)

Gesehen im Rahmen des Filmfests München 2025

9/10

Bewertung: 9 von 10.

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