Wann immer Nicholas Hynter wieder ein neues immersives Theaterstück im Bridge Theatre ankündigt, werde ich hellhörig. Dass er nahbares Theater kann, bewies er nämlich schon bravourös mit JULIUS CAESAR oder A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM. Nach diesen klassischen Shakespeare-Stücken inszeniert Hynter nun erstmals ein immersives Musical: GUYS & DOLLS. In den 50er Jahren veranstaltet Nathan Detroit (Daniel Mays) in New York illegale Glücksspiele. Damit die unentdeckt bleiben, muss der Veranstaltungsort ständig gewechselt werden. Nur noch Joey Biltmore ist bereit Nathan seine Garage für die nächste Runde zur Verfügung stellen, allerdings möchte er vorher 1.000 Dollar, die Nathan aber nicht hat. Nun befindet sich glücklicherweise auch der bekannte Spieler Sky Masterson (Andrew Richardson) in der Stadt. Nathan beabsichtigt ihn übers Ohr zu hauen um von ihm das benötigte Geld zu bekommen. Die beiden schließen eine Wette ab: Sky meint, er könne jedes Mädchen, das Nathan ihm nennt, dazu überreden, mit ihm nach Havanna zu fliegen. Nathan freut sich und bestimmt als Opfer den Heilsarmee-Sergeant Sarah Brown (Celinde Schoenmaker). Während Sky unter einem Vorwand Kontakt zu Sarah aufnimmt, versucht Nathan seiner Langzeitbeziehung und Hot-Box-Star Miss Adelaide (Marisha Wallace) eine Heirat auszureden.
Eintauchen in die Geschichte
Das vielleicht Skurrilste an dieser Produktion ist die Preisgestaltung der Tickets. Denn ausgerechnet die günstigste Kategorie, die “Immersive Tickets”, die 35 Pfund (ungefähr 40 Euro) kosten, garantieren die besten Plätze. Wobei das Wort „Platz“ in diesem Fall vielleicht falsch gewählt ist, denn man steht die ganze Zeit. Man kann aber auch selbst entscheiden, wie nahe man an die Bühne geht und wie nahe man den Schauspielenden kommen möchte. Und die Immersion gelingt bei GUYS & DOLLS von Beginn an. Kommt man in den Theaterraum, wird man erst einmal überwältigt von der Geräuschkulisse aus New Yorker Verkehrslärm, grellen Leuchtreklamen an der Decke und Verkaufsständen im Bühnenbereich, in denen man tatsächlich Hüte oder New Yorker Bretzels kaufen kann. Ebenso patrouillieren als Polizisten verkleidete Bühnenarbeiter, die im späteren Verlauf des Stücks auch mal die Menge zurückdrängen, wenn ein Bühnenteil aus dem Boden kommt. All das wirkt einfach nur stimmig und macht schon gute Laune bevor das Stück überhaupt anfängt.
Großartige Show!
Das Ensemble ist absolut fantastisch gecastet. Daniel Mays als Nathan Detroit, Cedric Neal als Nicely-Nicely Johnson und Marisha Wallace als Miss Adelaide sind wirklich herausragend. Stimmgewaltig und voller Humor rocken die Drei das Haus. Auch wenn Andrew Richardson und Celinde Schoenmaker ein wirklich süßes und glaubhaftes Liebespaar abgeben, kommen sie gegen diese geballte Gesangs- und Charismapower der anderen drei Hauptrollen kaum an. Und auch hier lohnt es sich wieder nahe an den Bühnenelementen zu stehen, denn hier kommt man den Schauspielenden so nah, dass man jeden Schweißtropfen sehen kann, der auf der Stirn steht. Set- und Kostümdesignerin Bunnie Christie hat sich selbst übertroffen. Denn von glitzernden Bühnenoutfits bis hin zu eleganten, dreiteiligen Anzügen gibt es hier viel zu sehen.
Inmitten eines Rockkonzerts
Langeweile kommt da nicht auf. In jeder Ecke ist etwas los. Die Tatsache, dass man keinen Sitzplatz hat, vergisst man so relativ schnell. Wer bequemes Schuhwerk mitbringt, hat da auch keine Probleme. Ähnlich wie A MIDSUMMER NIGHT’S DREAM ist auch GUYS & DOLLS am Ende ein großes Rockkonzert mit Liveband. Ich bin völlig beseelt aus dem Bridge Theatre geschwebt und war völlig hin und weg. Um ehrlich zu sein: Ich bin immer noch hin und weg und habe jedes Mal ein breites Grinsen auf dem Gesicht, wenn ich im Arbeitsumfeld oder Bekanntenkreis von diesem Stück erzähle. GUYS & DOLLS würde ich jederzeit uneingeschränkt weiterempfehlen und ich würde es noch viel öfter schauen, wenn ich in London wohnen würde.
9.5/10
GUYS & DOLLS ist noch bis zum 2. September 2023 im Bridge Theatre London zu sehen.