Als Michael Mittermeier 2012 in London auftrat, erklärte er den Engländern die deutsche Zurückhaltung, die man bereits in der Schule lernt: → „We had a school subject called ‚guilt‘. Three times a week we had ‚guilt‘. On Fridays we had ’shame‘. By the time i was fourteen i thought i invaded Poland myself.“ Ein bißchen Wahrheit steckt schon darin. Die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte werden repetitiv wiedererzählt. Die Schüler bekommen eine Nazi-Doku von Phönix vorgesetzt oder DEN UNTERGANG, laufen durch Konzentrationslager und starren gedankenversunken auf Gedenktafeln. Was Nationalsozialmus bedeutet, wissen sie aus Geschichtsbüchern. Doch wie sähe es heute aus? Timur Vermes Debütroman „Er ist wieder da“, der 2012 erschien, spielt mit diesem „Was wäre, wenn…?“-Szenario. Dank des überwältigenden Erfolgs war eine Buchverfilmung nur eine Frage der Zeit. 2014 erwacht Adolf Hitler (Oliver Masucci) mitten in Berlin und sieht sich mit demokratischen Strukturen und einer Kanzlerin konfrontiert. Übergangsweise kommt er bei einem Kioskbesitzer (Lars Rudolph) unter, der ihn für einen Hitler-Imitator hält. Der kürzlich gefeuerte Freelancer des Senders MyTV Fabian Sawatzki (Fabian Busch) wird auf Hitler aufmerksam, macht diesen ausfindig und unterbreitet ihm den Vorschlag eine Fernsehsendung zu produzieren, um damit wieder bei seinem Sender eingestellt zu werden. Sawatzki und Hitler fahren durch Deutschland und dokumentieren das Aufeinandertreffen von Bürgern und dem selbsternannten Führer. Zurück in Berlin zeigt Sawatzki das gedrehte Material dem Senderchef Christoph Sensenbrink (Christoph Maria Herbst), der zunächst ablehnt, aber die Vorsitzende Katja Bellini (Katja Riemann) ist begeistert. Sensenbrink, der auf Bellinis Arbeitsplatz scharf ist, wittert eine Chance die Konkurrentin loszuwerden. Erste Auftritte meistert der Führer, der von allen für ein Method-Acting-Schauspieler oder Comedian gehalten wird, mit Erfolg. Er bekommt auch bald einen eigenen Schreibtisch im Sender und die Sekretärin Vera Krömeier (Franziska Wulf) an die Seite gestellt, die ihm hilft sich im „Internetz“ zurechtzufinden. Hitler lernt schnell die Massen zu begeistern, wird auf Youtube gefeiert und erfreut sich einer steigenden Beliebtheit. Sawatzki kommen bald erste Zweifel an der Person Hitler.
The Empire strikes back
Zunächst einmal zu der Frage, ob man über Hitler lachen darf. Diese Frage beschäftigt die deutschen Medien unglaublich gerne. Egal, ob Hitler-Stromberg-Parodie bei „Switch Reloaded“ oder Dani Levys Komödie MEIN FÜHRER (2007), jedes Mal wird darüber diskutiert. Gerne auch in Talkformaten wie HART ABER FAIR. Um die Frage endlich einmal abschließend zu beantworten: Ja, man darf. Schließlich hat schon 1940 Charlie Chaplin mit DER GROßE DIKTATOR eine ikonische Parodie geschaffen. Und warum sollten nur ausländische Darsteller das Recht haben, sich über Hitler lustig zu machen, ihn der Lächerlichkeit preiszugeben und/oder kleinzumachen? Wie wichtig auch eine inländische Auseinandersetzung mit dem Thema ist, zeigt sich aktuell jeden Tag in den Nachrichten. Flüchtlingsheime werden angezündet, Pediga-Aufmärsche gestartet und die Angst vor allem Fremden weiter geschürt. Eine Szene inmitten der Credits versetzt dem Zuschauer einen Schlag in die Magengrube. Da fährt Hitler im offenen Verdeck durch eine Stadt. Die Menschen am Straßenrand grüßen ihn freundlich, ganz egal, welche Hautfarbe sie haben. „Damit kann ich arbeiten.“ sagt Hitler. Diese Aussage wird gegengeschnitten mit Aufmärschen in Schweden, dem niederländischen Populisten Wilders und natürlich den Pegida-Aufmärschen.
Der Film arbeitet nicht nur mit fiktiven Filmszenen, sondern auch mit Dokumentarmaterial, dass im Vorfeld zu den eigentlichen Dreharbeiten entstand. Hierzu wurde Oliver Masucci samt Maske und Uniform auf deutsche Bürger losgelassen. Aus den 380 Stunden Bildmaterial entstanden erschreckende Aufnahmen von „besorgten Bürgern“, die von der Demokratie enttäuscht sind und sich wieder einen Anführer wünschen. Es ist erstaunlich und erschreckend, wie nahtlos sich das dokumentarische Material in die fiktionale Rahmenhandlung einfügt. Film wird Realität und Realität zum Film. Masucci musste in der Interaktion improvisieren und immer in der Rolle bleiben. Und das gelingt ihm erschreckend gut. Doch auch die Rolle der Medien wird thematisiert. Fernsehsendungen wie CIRCUS HALLIGALLI und Youtube-Kanäle samt Empfehlungen durch Joyce Ilg und Daggie Bee ermöglichen Hitler überhaupt erst den Aufstieg. Doch während die Medienverantwortlichen hoffen durch Hitlers Erscheinen Kasse zu machen und beruflich durchzustarten, nutzt dieser die Medien als Propagandamittel um seine Sympathiewerte zu steigern. Der böse Massenmörder wird plötzlich zum netten Onkel von Nebenan stilisiert. Dieser Vorgang lässt sich auch im Realen beobachten, wo Ausgaben von Magazinen bis zu 25% besser verkauft werden, wenn Hitler auf dem Titelcover zu sehen ist. Dabei wird leicht vergessen, dass Hitler nicht der alleinige Übeltäter war, sondern seine Helfer und Helfershelfer hatte. Auch dies greift der Film auf: „Die Leute haben mich gewählt.“ sagt Hitler. Sinngemäß: „Sie wollten es doch so.“
In ER IST WIEDER DA steckt so viel Subtext, dass es zwei oder drei Sichtungen bräuchte um wirklich alles in Gänze zu erfassen. So hat Wnendt zwei Schauspieler in seinen Cast aufgenommen – Michael Kessler und Christoph Maria Herbst – die selbst schon Hitler parodiert haben. Der Film ist an vielen Stellen politisch unkorrekt und stellt immer wieder die Frage: Darf man darüber lachen? Wenn etwa Sensenbrink seine Autoren bittet, sich Witze über Religionen und andere in Deutschland als heikel eingestufte Themen auszudenken und vorzulesen, bleibt einem häufig das Lachen im Halse stecken. Wnendt zollt durch einige Point-of-View-Aufnahmen der in Ich-Form geschriebenen Buchvorlage Respekt. Auch Ton-Bild-Scheren bzw. die Dekontextualisierung von Musik wie z.B. das STAR WARS-Thema „The empire strikes back“ oder Katja Ebsteins „Er ist wieder da“ werden bewusst eingesetzt. Auch wenn die Story und auch die filmischen Mittel hier und da etwas überzogen wirken, bleibt ER IST WIEDER DA eine großartige und wichtige Komödie, die nicht zuletzt durch Oliver Mascuccis grandiosem Spiel im Gedächtnis bleibt.
Packende Gesellschafts- und Medienkritik (5/6)
Trailer: © Constantin Film Verleih GmbH
Sehr interessant, ein solches Resultat hätte ich nicht erwartet. Das Buch fand ich durchschnittlich (mit miserablem Ende), der Trailer des Filmes hat mich überhaupt nicht abgesprochen. Aber überall nun diese Kritiken, da reizt es mich doch ins Kino zu gehen.
Scheinbar hat der Regisseur aus dem mittelmässigen Material eine echt gute Betrachtung erschaffen.
Ja, das Problem ist halt, dass viele das Buch mit dem Film vergleichen und dann – zumindest lese ich das aus den Kommentaren bei Plattformen wie Moviepilot heraus – enttäuscht sind. Ich kenne die Buchvorlage nicht. Der Film enthält den interessanten Kniff, als er behauptet die Buchvorlage sei von Hitler unter dem Pseudoynm „Timur Vermes“ geschrieben worden. Kann sein, das das Leute stört.
Das kann sehr gut sein. Aber wie du das beschrieben hast, umgeht die fimlische Inszenierung eigentlich geschickt all diese Vergleiche. Man durchbricht die vierte Wand, und das macht „Er ist wieder da“ sofort viel interessanter.
Das hast du sehr gut formuliert – genauso habe ich mich auch im Kino gefühlt. Während des Films gab es viele Gegröle im Saal, aber beim Rausgehen war die Stimmung verhalten. Vor allem das Ende war niederschmetternd und hat für mich aus der Komödie einen strafenden Zeigefinger gemacht. Trotzdem sehenswert!