„…ich bin dann demnächst wieder in Wien. Da gibt es ein Theaterstück von Mareike Fallwickl.“ „Oh mein Gott, wirklich? Von ihr hab ich mal ein Buch gelesen. Die macht auch Theaterstücke?“ Im Gegensatz zu meiner Gesprächspartnerin beim firmeninternen „Coffee Date“ – einem Format, bei dem man sich zufallsgeneriert mit einem Kollegen oder einer Kollegin trifft und über alles spricht, was explizit nicht arbeitsrelevant ist –, wusste ich vor dem Theaterbesuch noch nicht, was mich erwartet. Der Hauptgrund für diesen Theaterbesuch war tatsächlich Hauptdarstellerin Stefanie Reinsperger, von der man bis nach München nur Gutes hört und die Wiener Mund-zu-Mund-Propaganda hat in der Regel recht. Reinsperger spielt Elisabeth, genannt „Sisi“ . Die Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn, Schönheitsideal, Ehefrau, Mutter, Sportlerin betritt die Bühne, obwohl sie seit über 100 Jahren tot ist. Wie blickt sie selbst auf ihr Leben im Rampenlicht des 19. Jahrhunderts zurück? Auf ihr Fortleben als Ikone in der Werbung und dutzenden Filmen und Serien? Sisis Gesicht ziert Süßigkeiten und Souvenirs. Sie ist ein Aushängeschild Österreichs. Gleichzeitig wird sie als Rabenmutter bezeichnet, als essgestört, eitel und selbstsüchtig. Wer ist die Frau hinter all den Bildern und Geschichten? Diese Fragen wirft Mareike Fallwickls Monolog auf, den Regisseurin Fritzi Wartenberg am Burgtheater inszeniert hat.

Eine Sisi, die mit sich abrechnet
Regisseurin Fritzi Wartenberg wirft mit Fallwickls Text einen vielschichtigen und feministischen Blick auf den Superstar der Habsburger. Diese Elisabeth ist keine romantisierte Filmfigur mehr. Sie ist frech, wütend und schonungslos ehrlich. Als der Name „Elon Musk“ fällt, kommentiert Sisi diesen mit einem gespielten Würgegeräusch. Sehr sympathisch. Die Bühnen-Sisi beklagt das Schönheitsbild, dem sie habe entsprechen müssen. Sie bezeichnet ihre Haarpracht als „Arschloch-Haare“, derer sie sich am liebsten entledigen würde. „Ich bin eine Sklavin meiner Haare“ sagt sie und bittet kurz darauf zwei Personen im Publikum ihr die Mähne abzuschneiden. Wenn man weiß, wie viele Stunden die Maskenbildner an einer solchen Perücke arbeiten, tut das einem schon beim Zusehen weh. Das Bühnenbild besteht aus übergroßen Spiegeln, die Elisabeths Selbstbetrachtung reflektieren. Zudem liegt ein Pferd kraftlos auf dem Boden – ursprünglich mal von der Bühnenbildnerin als → Symbol der Freiheit gedacht, weil Sisi gerne ausgeritten ist. Auf mich wirkte es aber eher wie ein müdes, dressiertes Zirkuspferd. Je länger das Theaterstück dauert, desto mehr wird es mit Teilen von Sisi behängt – Kleidungsfetzen, Haare, alles landet auf dem erschöpften Tier.

Faktencheck meets Wutrede
ELISABETH! springt wild durch die Geschichte. Der Aufstand der Wiener Arbeiterinnen 1848, angeführt von Karoline von Perin, und dessen Niederschlagung. Dann wieder zu Elisabeth: 1854 Zwangsverheiratung mit Kaiser Franz Joseph I, die Geburt der Kinder, Fluchtversuche in den Turnsaal, aufs Pferd oder nach Madeira. Dazwischen Geschichten von ikonischen Frauenfiguren: Rosa Parks, die Boxerin Imane Khelif, Gisèle Pelicot. Zurück zu Elisabeth: der Tod ihrer Kinder, ihre Ermordung, Mutterschaft, Fremd- und Selbstbestimmung, Körperbilder. Die verschiedenen Themen reihen sich im Schlagzeilenstil aneinander. Manchmal ist dieses Springen von Thema zu Thema aber auch zu viel oder zu schnell. Man kommt nicht immer hinterher. Währenddessen spielt die 2-Frau-Band eine Punkversion von „Ich gehör‘ nur mir“ aus dem Elisabeth-Musical. Die Fallwickl‘sche Sisi mag diesen Liedtext gar nicht. Es sei heuchlerisch anzunehmen, dass sie sich von den höfischen Zwängen hätte befreien können. Elisabeth erzählt davon, dass sie ihre Zofen schlecht behandelt hat. Sie erzählt von ihrer Einsamkeit, weil keine andere Frau sie aktiv ansprechen durfte. Von der Flucht in die Poesie.
Fallwickl verklärt die historische Figur nicht. Sie zeigt auch, dass sich die Zeiten für Frauen gar nicht so fundamental verändert haben. Durch den Text zieht sich der rote Faden, dass Frauen permanent in Konkurrenz gesetzt werden anstatt weibliche Solidarität zuzulassen. Der Text weiß, dass die Kaiserin auch selbst Teil und Träger solcher Misogynie war. Doch es tut gut und scheint notwendig, diese Gleichzeitigkeit, diesen scheinbaren Widerspruch, zu ertragen. Die feministische Kampfansage von Fallwickls Text ist an manchen Stellen etwas zu deutlich geraten. Hier wäre ein bisschen weniger auch noch ausreichend gewesen.

Eine Naturgewalt von Schauspielerin
Stefanie Reinsperger ist eine Wucht. Sie verkörpert die komplexe, widersprüchliche Kaiserin über 100 Minuten hinweg so fantastisch, dass es schon bei der Premiere minutenlange Standing Ovations gab. So auch an meinem Abend. Mal mit Wiener Schmäh, mal förmlich, mal verzweifelt. Reinsperger kann die ganze Bandbreite spielen. Man kann nicht wegschauen, wenn sie über die Bühne tobt, schreit und tanzt. „Wo eine Frau die Wahrheit sagt, eröffnet sie einen Raum.“ – mit diesem Zitat endet das Stück. Wartenberg, Reinsperger und Fallwickl haben einen solchen Raum geschaffen. Einen Raum, in dem Sisi endlich mal sagen darf, was sie wirklich denkt. Auch wenn die feministische Kampfansage manchmal etwas plakativ daherkommt und das Tempo stellenweise überfordert – dieser Theaterabend bleibt im Gedächtnis. Reinspergers Performance allein ist den Besuch wert. Das Burgtheater entstaubt mit ELISABETH! die historische Figur und schafft einen relevanten, wütenden und unterhaltsamen Abend.
Gesehen am 26.09.2025 im Burgtheater in Wien
8.5/10



