Nicht jeder Dokumentarfilm muss aufklären, auf Missstände aufmerksam machen oder provozieren. Manchmal reicht auch ein spannendes Thema. Das spannende Thema ist im Fall von DIE KUNST DER WIDERREDE (OT: ART OF THE ARGUMENT) ein internationaler Wettbewerb im Völkerrecht, dem Jessup Moot Court, von dem die meisten wohl noch nie etwas gehört haben. Der Film folgt vier Jurastudierenden von der LMU München, die an dem Wettbewerb teilnehmen. Celia, Mahja, Nina und Clemens sind Anfang zwanzig und haben noch keinerlei Vorkenntnisse im Völkerrecht. Ein halbes Jahr später werden sie juristische Experten in Fragen der Massenüberwachung und Cyber-Attacken sein und sich vor einer hochkarätig besetzten Richterbank mit Richtern des Internationalen Gerichtshofs, Bundesrichtern und Juraprofessoren behaupten müssen. Begleitet werden sie von drei Coaches, die nicht nur fachlich unterstützen, sondern auch die Rhetorik und das Auftreten der Studenten optimieren. Durch verschiedene Vorrunden schafft es das Team tatsächlich zur Endausscheidung in Washington D.C.
Distanz und Nähe
Genauso sachlich und distanziert wie die Protagonisten sich mit dem fiktiven Fall auseinander setzen müssen, setzt sich der Film und damit auch der Zuschauer mit diesem Spektakel auseinander. Die beiden Dokumentarfilmer fragen nicht, nach der Motivation, warum die Studenten an dem Wettbewerb teilnehmen. Es gibt nicht diese für Fernsehdokus typischen Gesprächsfetzen, in denen ein Protagonist vor einem zumeist grauen Hintergrund irgendeinen besonderen Moment noch einmal wiedergibt. Melanie Liebheit und Gereon Wetzel observieren. Sie sind hautnah dabei, bei den Treffen mit den Coaches, der Vorbereitung in München, im Hotelzimmer in Washington. Dabei lassen sie aber genügend Fragen offen um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Wie wird das Team in der Vorrunde abschneiden? Welche Argumente überzeugen? Wie ist die Taktik der einzelnen Wettbewerbsteilnehmer?
Staaten gegen Staaten – auch im Kleinen
In die Vorbereitungsphase wird von den Dokumentarfilmern immer wieder der fiktive Fall eingearbeitet, den es zu bearbeiten gilt. Es streiten die fiktiven Staaten Amestonia und Riesland u.a. um die Legalität von Massenüberwachungsprogrammen und die völkerrechtlichen Konsequenzen von Cyberattacken (→ hier der komplette Fall zum Nachlesen). Die Studenten sollen sich jeweils in den Kläger und den Angeklagten hineinversetzen und den jeweiligen Standpunkt vor einem Gericht vertreten. Dazu gibt es Bundes- und Landesentscheide. Die besten Teams dürfen dann nach Washington reisen. Die Filmemacher hatten Glück. Ihre Protagonisten haben es tatsächlich bis nach Washington geschafft. Man spürt tatsächlich auch den Hauch des Internationalen, wenn die Kamera zwischen all den Delegationen hindurchschwebt, die dicht gedrängt, in unterschiedlichen Sprachen sprechend, auf dem Gang stehen und auf die Urteilsverkündung warten. Und trotz der unterschiedlichen Argumente und der unterschiedlichen Nationen aus denen die Nachwuchsjuristen kommen, spürt man auch den Zusammenhalt.
5.5/6 bzw. 9/10
Trailer: © DocCollection