Die Putzfrau ist Gott
Jedes Jahr wird in Salzburg traditionell der Jedermann von Hugo von Hofmannsthal aufgeführt. Eine völlig abgedrehte Adaption davon liefert nun die Autorin Carol Ann Duffy und Regisseur Rufus Norris. Ihr Jedermann (Chiwetel Ejiofor) ist jung, reich, feiert gerne und teilt mit seinen vielen Freunden ein unbeschwertes Leben zwischen Kokain und Kotze. Als Gott (Kate Duchêne) sieht, dass er auf der Erde nicht mehr geschätzt wird, beschließt er, die Menschen durch den Tod wieder an seine Macht zu erinnern. Er trägt dem Tod (Dermot Crowley) auf, zu Jedermanns Haus zu gehen und ihn vor das göttliche Gericht zu rufen. Jedermann soll einen Fürsprecher finden, der ihn dort verteidigen soll. In panischer Angst vor dem Tod fragt er seine vermeintlichen Freunde, doch die kehren ihm den Rücken zu und verweigern ihm die Unterstützung. Jedermann geht zu seiner Familie. Seine Schwester (Michelle Butterly) ist überrascht, da Jedermann sich sonst wenig für seine Familie interessiert geschweigdenn besucht hat. Die Eltern sind krank und senil und die Schwester macht ihm schwere Vorwürfe. Auch seine Familie verweigert ihm schließlich die Unterstützung. Jedermann ist verzweifelt. Wenn selbst seine Familie nicht helfen will, wer dann? Er erinnert sich an seinen Reichtum und sucht die Götter des Konsums auf, doch auch die sagen: „We don’t do souls. We do sales.“ Jedermann flüchtet und versucht dem Tod zu entrinnen, doch der ist ihm weiter auf den Fersen.
Chiwetel Ejiofor fliegt vor Stadtansichten von London von der Decke herunter in den dunklen Graben. Eine erste Anspielung auf den Ausgang des Abends. Aus dem Graben kommen Menschen. Partygäste. Alle warten sie nur auf den Jedermann. Der bekommt seinen großen Auftritt. Immer schneller hämmert der Bass. Immer bunter wird das Szenenbild. Man bekommt den Eindruck, die Macher haben das Stück eher für ein jüngeres Publikum arrangiert. In der Partyszene brüllen die Gäste Meghan Trainors Lied nach: „It’s all about that bass, ‚bout that bass, no treble“. Und dann kommen die Beutel mit dem weißen Pulver. Ganze Berge türmen sich auf den Tischen. In einer grandiosen Choreografie trichtert sich die Partygemeinde das weiße Pulver in die Nase und ins Gesicht. Dann Slow-Motion. Dann Streit. Dann Sex. Dann Absturz. So beginnt EVERYMAN und zeigt bereits damit, dass hier auf große Bilder gesetzt wird. Gott ist inszeniert als Putzfrau, die dem Jedermann hinterherräumen muss. Großartige Idee. Auch beim Tod waren die Kostümverantwortlichen sehr kreativ. Der sieht zeitweise wie ein Tatortreiniger oder Gerichtsmediziner aus, in einen weißen Ganzkörperanzug gehüllt. Passend dazu auch eine Mütze mit Flammenmotiv. Ein weiteres einprägsames Bild ist die Szene, in der Jedermann die Götter des Konsums bestechen will. Dazu steckt er ihnen seine Kreditkarten in die Münder.
Das Schauspiel ist absolute Weltklasse. Besonders Chiwetel Ejiofor, den man als Titelheld aus Steve McQueens 12 YEARS A SLAVE kennt, ist ein glaubhafter Protagonist. Die Verzweiflung, das Gefühl allein auf der Welt zu sein und sein eigenes Schicksal in fremde Hände legen zu müssen, hat sein Jedermann mit Solomon Northup gemein. Im Weiteren glänzt Kate Duchêne als Gott, die mal furchteinflössend, mal mit helfender Hand – oder einem Putzeimer, in den der Jedermann kotzen kann – das Geschehen beobachtet und kommentiert. Der Dritte im Bunde ist der Tod. Dermot Crowley spielt den Tod als Dienstleister Gottes herrlich süffisant und sarkastisch. Als der Jedermann ihn als „cunt“ bezeichnet, ist er entsetzt und fragt: „Where is the respect?“. Leider macht gerade gegen Ende diese lockere Haltung, der Humor, die eigentliche Dramatik kaputt. Hier wäre es besser gewesen, die verzwickte Lage des Jedermanns weiter auszukosten um ihn dann abschließend von seinem Leid zu erlösen. Mit dem gebürenden Ernst und Respekt.
Starke Neuinszenierung (5/6)
Trailer: NT Live