Andrea lässt sich scheiden (2024)

Nachdem ich seit geraumer Zeit ein gesteigertes Grundinteresse an Österreich, insbesondere an der Landeshauptstadt und dem Burgtheater habe, hat mir der Algorithmus jetzt auch einen österreichischen Film in meine Empfehlungsliste im Streamingdienst WOW gespült: ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN von Regisseur und Kabarettist Josef Hader. Sein zweiter Film spielt in Niederösterreich. Dort spielt sich das Dorfleben zwischen endlosen Rübenfeldern und kunstgeschmückten Kreisverkehren ab. Polizistin Andrea (Birgit Minichmayr) kennt hier jeden Verkehrssünder persönlich. Sie sehnt sich nach einem Neuanfang in St. Pölten als Kriminalbeamtin, denn ihre Ehe mit Andi (Thomas Stipsits) steht vor dem Aus. Der Noch-Ehemann will die Scheidung nicht akzeptieren und sucht Trost im Schnaps. Als Andrea ihn eines Nachts mit dem Auto erfasst, begeht sie im Schock Fahrerflucht. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes: Franz (Josef Hader), ein Religionslehrer und trockener Alkoholiker, hält sich für den Täter und wird auch von allen anderen dafür gehalten. Während Franz wieder zu trinken beginnt und seinem Untergang entgegen taumelt, versucht Andrea ihre Spuren zu verwischen.

Szenenbild aus ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN - Regie: Josef Hader - Kein Auto weit und breit: Hektisch geht es bei den bei Andreas (Birgit Minichmayr) und Georgs (Thomas Schubert) Polizei-Einsätzen eigentlich nie zu. - © Majestic
Kein Auto weit und breit: Hektisch geht es bei den bei Andreas (Birgit Minichmayr) und Georgs (Thomas Schubert) Polizei-Einsätzen eigentlich nie zu. – © Majestic

Nur keine Hektik

Hader nimmt sich Zeit für seine Geschichte – vielleicht sogar etwas zu viel. Es dauert eine ganze Weile, bis die Handlung richtig in Gang kommt und der Film seinen Rhythmus findet. Diese bedächtige Erzählweise hat aber auch ihre Berechtigung: Sie zeigt die Dorftristesse in all ihren Facetten und erklärt, warum Andrea unbedingt daraus ausbrechen will. Die Enge der Provinz wird verständlich, ohne dabei herablassend auf die Figuren herunterzublicken. Obwohl Josef Hader prominent auf dem Filmplakat prangt, dauert es erstaunlich lange, bis er selbst im Film auftaucht. Birgit Minichmayr trägt den Film mit ihrer Darstellung der Andrea, die verschiedene Facetten meisterhaft verbindet: Ausbruchsfantasien, blinden Aktionismus und die trotz allem vorhandene Verbundenheit zur Heimat und den eigenen Wurzeln.

Szenenbild aus ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN - Regie: Josef Hader - Andrea (Brigit Minichmayr) und ihre Schwester (Marlene Hausner) sorgen sich um ihren Vater. - © Majestic
Andrea (Brigit Minichmayr) und ihre Schwester (Marlene Hausner) sorgen sich um ihren Vater. – © Majestic

Dorf-Sheriff sucht neue Heimat

Wie Hader im Presseheft zum Film erklärt hat, marschiert Minichmayr „wie ein Cowboy durch den Film“. Und wenn sie nicht marschiert, fährt sie Auto oder kontrolliert andere, die Autos fahren. Die Autos spielen eine zentrale Rolle als motorisierte Fortbewegungsmittel, ohne die man in der Provinz nicht von A nach B kommt. Haders Entscheidung, eine Frau ins Zentrum seiner Geschichte zu stellen, passt auch gut zur Dorf-Stadt-Thematik: „Die Frauen ziehen weg und die Männer werden immer komischer.“ Andrea verzichtet komplett auf traditionelle „weibliche“ Mittel wie etwa Verführung, Subtilität oder emotionale Unterstützung. Sie bleibt undurchschaubar – eine Eigenschaft, die in Filmen häufig nur Männern zugestanden wurde. Die Emanzipationsgeschichte von Andrea entwickelt sich organisch aus der Handlung heraus, ohne je aufgesetzt zu wirken.

Szenenbild aus ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN von Josef Hader - Der Religionslehrer und trockener Alkoholiker Franz (Josef Hader) ist fassungslos und weiß nicht, wie es ihm passieren konnte, dass er einen Menschen überfahren hat. ©Majestic / Darryl Oswald
Der Religionslehrer und trockener Alkoholiker Franz (Josef Hader) ist fassungslos und weiß nicht, wie es ihm passieren konnte, dass er einen Menschen überfahren hat. – ©Majestic / Darryl Oswald

Zwischen Humor und Melancholie

Hader verzichtet bewusst auf einen klassischen Score. Andreas Flucht aus dieser Welt findet – wie man das erwarten würde – irgendwo zwischen volkstümlicher Schlagermusik und Hausmusik in Wirtshaus-Atmosphäre statt. ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN gelingt ein schwieriger Balanceakt: Hader und seinem großartigen Cast entwickeln aus vielen Zwischentönen eine große Resonanz. Der Humor übertönt nie die Melancholie, das Absurde und das Lustige. Es ist ein Film über Menschen, die in einer Welt leben, in der es kaum noch Geheimnisse voreinander gibt, weil jeder jeden kennt. Dorfleben halt. Hier wird sich so schnell nichts ändern, und wem das nicht passt, der muss fortgehen. ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN erzählt diese Geschichte mit der nötigen Portion Ironie und viel Verständnis für alle Beteiligten.

Seit dem 22.08.2024 auf Blu-ray und via VoD erhältlich. Außerdem ist der Film aktuell [Stand: Juli 2025] im Streamingangebot von WOW enthalten.

8/10

Bewertung: 8 von 10.

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