Civil War (2024)

Was wäre, wenn der Krieg plötzlich vor der eigenen Haustür stünde? Diese Frage stellt das 10 Jahre alte, virale → „Most Shocking Second a Day“-Video der NGO „Save the Children“, in dem das Leben eines britischen Mädchens durch den Ausbruch eines Krieges radikal zerstört wird. Die Botschaft dieses Kurzfilms: Krieg und Vertreibung sind keine fernab liegenden Realitäten, sondern könnten jederzeit auch in der scheinbar sicheren westlichen Welt stattfinden. Ähnlich funktioniert auch CIVIL WAR von Alex Garland. In seinem Film sind die Vereinigten Staaten von Amerika tief gespalten und es tobt ein blutiger Bürgerkrieg. Mitten in diesem Chaos befindet sich eine Gruppe Journalisten. Die erfahrene Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) und ihr Kollege Joel (Wagner Moura) wollen nach Washington D.C., um mit dem Präsidenten (Nick Offerman) ein Interview zu führen. Ihrer Gruppe schließen sich auch der New-York-Times-Journalist Sammy (Stephen McKinley Henderson) und die Nachwuchsfotografin Jessie (Cailee Spaeny) an. Auf ihrer gefährlichen Reise werden sie Zeugen des eskalierenden Konflikts zwischen der Regierung und den separatistischen „Westlichen Mächten“, angeführt von Texas und Kalifornien.

Szenenbild aus CIVIL WAR - Sammy (Stephen McKinley Henderson), Lee (Kirsten Dunst), Jessie (Cailee Spaeny) und Joel (Wagner Moura) - © A24/DCM Filmverleih
Sammy (Stephen McKinley Henderson), Lee (Kirsten Dunst), Jessie (Cailee Spaeny) und Joel (Wagner Moura) – © A24/DCM Filmverleih

Atmosphärische Dichte und packende Inszenierung

Alex Garland gelingt es in CIVIL WAR, eine bedrückende Atmosphäre zu schaffen, die von Anfang bis Ende fesselt. Die Auswirkungen des Bürgerkriegs sind allgegenwärtig und in jeder Szene spürbar. Die Kameraarbeit von Rob Hardy ist dabei ein echtes Highlight. Seine Bilder – wie etwa von liegengebliebene Autos oder den chaotischen Verhältnissen im Häuserkampf – erzeugen eine eindringliche Endzeitstimmung, die den Zuschauer mitten ins Geschehen zieht. Sie haben aber immer wieder auch etwas Melancholisches. So liegt in einer Szene Lee im Gras und der Fokus ist nicht auf die Unsagbarkeiten im Hintergrund gelegt, sondern auf die Blume, die sich im Vordergrund im Wind wiegt. Auch die brennenden Bäume, deren Funken wie rote Glühwürmchen in die Nacht aufsteigen, haben einen gewissen traurigen Zauber. Die Musikauswahl in CIVIL WAR ist ein zweischneidiges Schwert. An manchen Stellen verstärkt die fröhliche Country- oder Hip-Hop-Musik das Gefühl des Unbehagens, indem sie absichtlich einen unpassenden Kontrast zu den düsteren Bildern schafft. Auch wenn das ein beabsichtigter Kunstgriff ist, um die Grausamkeit des Krieges zu betonen, wirkt das auch manchmal etwas übertrieben.

Szenenbild aus CIVIL WAR - © A24 / DCM Filmverleih
© A24 / DCM Filmverleih

Menschen kämpfen gegen Menschen

Interessant ist, dass CIVIL WAR bewusst auf realpolitische Vorlagen in der Handlung verzichtet. Besonders auffällig ist die Zusammenarbeit zwischen den Bundesstaaten Kalifornien und Texas, die hier Seite an Seite kämpfen, obwohl Kalifornien in der Realität tendenziell demokratisch und Texas eher republikanisch wählt und es daher wenig Schnittmengen gibt. Die Fronten sind generell sehr unübersichtlich in diesem Film. Es bleibt unklar, wer genau gegen wen kämpft und warum. Häufig ist die Antwort: „Die schießen auf uns, also schießen wir auf die“. Das verleiht dem Film eine zusätzliche Ebene der Komplexität und vermeidet den Weg des geringsten Widerstands, also politische Figuren wie Trump direkt aufzugreifen. Insbesondere die Angehörigen des Militärs und der Milizen teilen in „wir“ und „die anderen“ ein. In einer besonders eindrücklichen Szene, befragt ein Soldat (Jesse Plemons) mit vorgehaltener Waffe, wo die Journalisten denn herkommen. Als einer der Journalisten „Hong Kong“ antwortet, wird dieser erschossen, weil er „kein echter Amerikaner“ ist.

Szenenbild aus CIVIL WAR - Jessie (Cailee Spaeny) - © A24/DCM Filmverleih
Jessie (Cailee Spaeny) – © A24/DCM Filmverleih

Schauspielerische Stärken

Die Fotografin Lee hat ein historisches Vorbild, das auch zitiert wird: die Kriegsfotografin Lee Miller. Ab dem 19. September 2024 startet in den deutschen Kinos auch ein Film über sie unter dem Namen DIE FOTOGRAFIN (OT: LEE). Die Lee in CIVIL WAR, von Kirsten Dunst gespielt, überzeugt im nüchtern-praktischen Schlabberlook und No-Makeup-Ästhetik. Man spürt die jahrelange Erfahrung, aber auch die Ernüchterung über die Lage. Besondere Freude an ihrem Beruf scheint sie nicht zu haben. Und trotzdem macht sie es, vielleicht auch, eben weil die Lage aussichtslos ist und man dann in alte Muster verfällt. Und so fotografiert halt die Fotografin. Cailee Spaeny braucht hingegen etwas Zeit in ihrer Rolle als Jessie zu überzeugen. Zu Beginn wirkt ihre Motivation, Kriegsfotografin zu werden, auf mich nicht ganz nachvollziehbar. Doch im Verlauf des Films entwickelt sich ihre Figur glaubwürdig weiter. Joel (Wagner Moura) bekommt eigentlich nur am Ende des Films mal einen starken Moment. Häufig ist er einfach nur der vergleichsweise gutgelaunte, pragmatische Fahrer. Stephen McKinley Henderson spielt hier eine Rolle, die man bereits schon aus anderen Filmen kennt und die man als „alter, kluger Mann“ zusammenfassen kann. Sehr charismatisch, weise und grundsympathisch.

Szenenbild aus CIVIL WAR - Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) - © A24/DCM Filmverleih
Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) – © A24/DCM Filmverleih

Die Kamera sieht alles

Der wichtigste Gegenstand in diesem Film ist wahrscheinlich die Kamera. Die Kamera zeichnet den Film CIVIL WAR auf und in der Welt des Films wird die Kamera zum stillen Zeugen, der die Geschehnisse festhält und für die Nachwelt bewahrt. Sie schafft ein visuelles Gedächtnis, das zur Aufarbeitung, zum Verständnis und im besten Fall zur Prävention zukünftiger Konflikte beitragen kann. Das lässt sich auch über den Film sagen. Hier lässt sich ein Metakommentar über das Filmemachen herauslesen. Garland zeigt auch die ethischen Dilemmata, mit denen Kriegsfotografen konfrontiert sind: Wann wird das Dokumentieren zur Ausbeutung? Wo liegt die Grenze zwischen notwendiger Berichterstattung und Sensationslust? CIVIL WAR ist ein intensiver und zum Nachdenken anregender Film mit seiner starken visuellen Sprache, zwei großartigen Hauptdarstellerinnen und einer spannenden Geschichte, die noch nachwirkt.

CIVIL WAR ist seit dem 9. August 2024 auf DVD, Blu-ray und 4K-UHD zu kaufen.

8.5/10

Bewertung: 8.5 von 10.

1 thoughts on “Civil War (2024)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert