Nach MAN AND SUPERMEN war ANTONY AND CLEOPATRA nun das zweite NT-Live-Stück mit Ralph Fiennes, das ich mir angesehen habe. Der spielt in Shakespeares Stück den römischen General Marcus Antonius. Antonius hat sich in die ägyptische Königin Kleopatra (Sophie Okonedo) verliebt. Da erreicht ihn die Nachricht, dass seine Frau Fulvia tot sei. Die Armeen von ihr und seinem Bruder Lucius wurden von Kaiser Oktavian (Tunji Kasim) geschlagen. Der beklagt, dass Antonius in Ägypten seinen staatsmännischen Pflichten aufgegeben habe. Als Antonius aber aus Ägypten zurück nach Rom kommt, möchte ihn Oktavian weiter an seiner Seite wissen. Oktavian möchte mit Antonius in den Krieg gegen den Feldherrn Pompeius (Sargon Yelda) ziehen. Durch die Heirat mit der Schwester des Kaisers, Oktavia (Hannah Morrish), soll der Bund bekräftigt werden. Als ein Bote Kleopatra von Antonius’ Heirat berichtet, ist diese außer sich.
Ägyptens Frauenpower
Das Bühnenbild ist zweigeteilt, in Ägypten und Rom. Ägypten ist dabei ein in sonniges Licht getauchtes, in Erdtönen gehaltenes Bühnenbild einschließlich Wasserstellen. Rom hingegen ist in kühle Farben getaucht und erinnert ein bißchen an einen überdimensionalen Kontrollraum. Somit wird auch optisch die innere Zerissenheit von Antonius verdeutlicht. Auch wenn Kleopatra als königliches Oberhaupt den Ton bestimmt, spürt man den Zusammenhalt mit ihren beiden Untergebenen. Das Dreigespann aus Georgia Landers als Iras, Sophie Okonedo als Kleopatra und Gloria Obianyo als Charmian wirkt wie eine Kriegertruppe aus Wakanda. Stark, unerschrocken und selbstbestimmt. Da kommt es auch nicht überraschend, dass am Ende des Stücks eine echte Schlange am Hals von Sophie Okonedo hängt. Gekonnt spielt das Stück auch mit leisen popkulturellen Referenzen. So trägt etwa Kleopatra ein knallgelbes Kleid, dass im Aussehen stark dem Kleid von Beyoncés “Lemonade”-Musikvideo erinnert. Generell sind die Kostüme, insbesondere die von Kleopatra, eine absolute Augenweide.
Okonedo überzeugt
Irgendwie werde ich nicht mit Ralph Fiennes warm. Zumindest nicht in den NT-Live-Übertragungen, die ich mit ihm sehe. Auch wenn Fiennes und Okonedo in ANTONY AND CLEOPATRA eine gute Chemie haben, verstehe ich nicht ganz warum beide einen Evening Standard Theatre Award für ihre Rollen bekommen haben. Versteht mich nicht falsch: bei Okonedo ist das berechtigt. Sophie spielt mit ihrer Leidenschaft und ihrem Temperament alles an die Wand – aber Fiennes? Ich bin mir da nicht so sicher. Keine Frage, er spielt gut, aber halt auch nicht so, dass ich völlig aus dem Häuschen bin. Und das hatte ich eigentlich erwartet. Vielleicht liegt es auch am Shakespeare-Englisch. Oder einfach am Stoff. Während die einen Szenen übermäßig langgezogen wirken (lange Monologe, warum man sich das Leben nehmen will), fehlte mir an anderen Stellen die Motivation der Figuren. Einer dieser Momente war z.B. der Vorschlag der Verheiratung mit Oktavia. Antonius zögert keine Minute und hält das sofort für eine gute Idee. Wenn er Kleopatra so liebt, warum sieht man dann keinen Moment des Zweifels? Hier und da ist es also nicht ganz rund, trotzdem hatte ich einen netten Theaternachmittag.
4/6 bzw. 7/10