Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem wird durch krisenhafte Entwicklungen zunehmend in Frage gestellt und eine Antwort ist nicht in Sicht. Die politischen und wirtschaftlich Mächtigen wurden zum Großteil an den besten Schulen und Universitäten ausgebildet. Ihre Ratlosigkeit ist deutlich zu spüren und an die Stelle einer langfristigen Perspektive ist kurzatmiger Aktionismus getreten. Mit erschreckender Deutlichkeit wird nun sichtbar, dass uns die Grenzen unseres Denkens von Kindheit an zu eng gesteckt wurden. Egal, welche Schule wir besucht haben, bewegen wir uns in Denkmustern, die aus der Frühzeit der Industrialisierung stammen, als es darum ging, die Menschen zu gut funktionierenden Rädchen einer arbeitsteiligen Produktionsgesellschaft auszubilden. „Leistung“ als Fetisch der Wettbewerbsgesellschaft ist weltweit zum unerbittlichen Maß aller Dinge geworden. Doch die einseitige Ausrichtung auf technokratische Lernziele und auf die fehlerfreie Wiedergabe isolierter Wissensinhalte lässt genau jene spielerische Kreativität verkümmern, die uns helfen könnte, ohne Angst vor dem Scheitern nach neuen Lösungen zu suchen.
Und, wie lernst du?
Bereitet die Schule die Kinder aufs Leben vor? Bringt der Leistungsdruck und antrainierte Erfolgswille dem Schüler etwas? Geht „Schule“ nicht auch anders? Diesen Fragen geht Regisseur Erwin Wagenhofer in seiner neusten Dokumentation nach. Die Geschichten der Protagonisten werden spannend und flüssig miteinander verwoben, lediglich die Optik der Namensvorstellungen und „Info-Tafeln“ wirkt vergleichsweise kantig. Obwohl die Probleme der aktuellen Bildungspolitik überzeugend dargelegt werden (starke Konzentration für Leistung, hohe Selbstmordrate bei chinesischen Schülern, Lernolympiaden, Verlust der kindlichen Neugier…), sieht es bei den Lösungsvorschlägen eher mau aus. Das Konzept „Das Kind lernt selbst“ wird kurz angerissen. Allerdings ist das doch eher ein Einzelfall. Wenn Eltern ihre Kinder nicht in die Schule geben, beginnt hierzulande (und wahrscheinlich auch anderswo) gleich ein Rechtsstreit mit den Behörden. Die Eltern müssen sich dann im Zweifel als „Rabeneltern“ bezeichnen lassen. Wer sich also durch diesen Film praktische Lösungen erhofft, sucht diese vergeblich. Alphabet ist aber ein starker Appell für ein Umdenken in der Bildungspolitik, welches absolut notwendig ist.
Spannende Bildungsdoku (4.5/6)
Trailer: © Pandora Filmverleih