Die Apokalypse kann so schön (bebildert) sein. Da steigt der Meeresspiegel, weil die Polkappen schmelzen und im Süden Louisianas im Sumpfgebiet denkt trotzdem niemand daran zu gehen. Hier ist es schön. Essen findet sich entweder im Wasser in Form von Krebsen und Fischen oder hinter dem Haus in der aus Hühnern und Schweinen bestehenden Haustierzucht. Die Menschen leben im Einklang mit der Natur. Dort lebt die kleine Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) zusammen mit ihrem Vater Wink (Dwight Henry) in einem abgelegenen Ort namens Bathtub. Die Wissenschaftler sagen voraus, dass Bathtub bald überschwemmt sein wird, aber einige Bewohner wollen bleiben. Ein Leben hinter dem Damm, der Land und Wasser trennt, ist für sie nicht vorstellbar. Niemand von ihnen verspürt ein Verlangen dorthin zu gehen, „wo man Fisch aus Tüten isst“. Als das große Wasser kommt, halten die Zurückgebliebenen die Stellung, aber es wird immer schwieriger Nahrung zu finden. Ungetrübt ist aber die Stimmung. Als Winks gesundheitlichere Beschwerden immer schlimmer werden und die Familie zwangsevakuiert wird, muss seine Tochter mit den neuen Anforderungen klar kommen. Für ein fantasievolles Mädchen wie Hushpuppy ist das aber kein Problem.
Wenn die Flut kommt…
Warum auch immer, aber häufig haben Filme, die in Louisiana spielen, etwas Fantasievolles, etwas Magisches. Erinnert man sich nur an die farnbehangenden Bäume aus 12 YEARS A SLAVE oder die wiederbelebte Maus in THE GREEN MILE. Kein Wunder also, dass Regisseur und Drehbuchautor Benh Zeitlin seine Geschichte hier spielen lässt. BEASTS OF THE SOUTHERN WILD besteht hauptsächlich aus Nah- und Detailaufnahmen. Die Kamera scheint manchmal förmlich an den Gesichtern der Schauspieler zu kleben. Man sieht den Thunfischmatsch, der blummernd vor sich hinköchelt. Man sieht den Dampf, der aus dem Kochtopf steigt. Der Staub, der durch die Luft fliegt. Diese poetische Bildsprache muss man mögen. Dazu kommentiert Hushpuppy aus dem Off und erzählt, wie sie die Welt so sieht. Großen Wert legt der Film auch auf die Unterscheidung zwischen den „Landmenschen“ und den Einwohnern von Bathtub. Es wirkt extrem befremdlich, wenn die Zwangsevakuierten im grellend weißen Auffanglager landen und Hushpuppys Mähne gestriegelt und sie in ein hellblaues Mädchenkleid gesteckt wird. Man sieht die verschiedenen Mentalitäten aufeinanderprallen. Hushpuppy wundert sich beispielsweise, dass man dort die Menschen nicht einfach sterben lässt, sondern an Schläuche anschließt.
Quvenzhané Wallis war eigentlich viel zu jung für die Rolle. Beim Casting war sie gerademal fünf Jahre alt, obwohl die Filmemacher nach einer Sechs- bis Neunjährigen Ausschau hielten. Doch die Ausstrahlung der Kleinen begeisterte nicht nur Benh Zeitlin sondern auch die Oscar-Jury. 2013 wurde Wallis, damals 9 Jahre alt, die jüngste Oscar-Nominierte für die beste Hauptdarstellerin, verlor aber gegen Hollywoods Sweetheart Jennifer Lawrence. Ihre Präsenz, ihr Blick machen sie aus. Mal verträumt, mal verärgert. Sie hätte den Oscar durchaus verdient gehabt. Ihren Filmpapi Dwight Henry stellt sie häufig in den Schatten, was aber auch daran liegt, dass dessen Figur nicht so klar definiert ist. Manchmal ist er der liebevolle alleinerziehende Vater, dann wiederum stößt er sein Kind wieder weg. So agiert eigentlich der gesamte Film, was für permanente Spannung sorgt, aber damit auch ein paar narrative Schwächen zeigt.
Poetisches Abenteuer (5/6)
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