Professor T. (2017)

In einem kann man dem deutschen Fernsehen wenig vormachen: Krimiserien. Die laufen täglich auf allen – meist öffentlich-rechtlichen – Kanälen rauf und runter. Jede größere Stadt wie München, Stuttgart oder Köln hat eine eigene SOKO (ZDF) oder einen eigenen Tatort (ARD). Braucht es da wirklich noch eine neue Krimiserie? Ja, die braucht es tatsächlich, ist doch die Beraterrolle in deutschen Krimis noch eher unterrepräsentiert. Anders als in den USA, wo beispielsweise auch Mentalisten die Polizei bei ihrer Arbeit unterstützen dürfen, sind Berater in deutschen Krimis Mangelware. Ein solcher Berater ist aber der Kriminologie-Prof. Dr. phil. Jasper Thalbach (Matthias Matschke). Dessen ehemalige Studentin Anneliese Deckert (Lucie Heinze), heute Kommissarin bei der Kölner Kriminalpolizei, sucht ihn zusammen mit ihrem Kollegen Daniel Winter (Andreas Helgi Schmid) auf, weil sie bei einem Fall nicht weiterkommt. Doch diese Beratertätigkeit ist eine nervliche Belastung für alle, die mit Thalbach zu tun haben. Nicht nur Hauptkommissar Rabe (Paul Faßnacht) kommt bald durch Thalbachs Analysen in Bedrängnis, sondern auch Kommissariatsleiterin Christina Fehrmann (Julia Bremermann).

Es poltert und scheppert

Matschke spielt Thalbach als eine Mischung aus Dr. House, Sherlock Holmes und Sheldon Cooper. Einen Mann, der die gesellschaftlichen Konventionen ignoriert, obgleich er diese nur zu gut kennt. Als menschgewordener Elefant im Porzellanladen poltert er zwischen Tätern und Opfern hin und her und konfrontiert jeden schonungslos mit der Wahrheit. „Er lügt.“ sagt er über den Arbeitskollegen, der gerade eben noch das Verhältnis zu seiner toten Kollegin als positiv und problemlos beschrieben hat. „Ich weiß, dass Sie es waren.“ wispert er dem Mörder zu und grinst über beide Backen als hätte er gerade das fehlende Teilchen eines 1000-Teile-Puzzles gefunden. Diese Unerschrockenheit, auch ein stückweit das Verlassen auf die eigenen Fähigkeiten, ist ansteckend. Es macht einen Heidenspaß dem zuzusehen. Hin und wieder überrascht die Serie dann mit kleinen Absetzern. Hier wird die gleiche Szene zweimal gezeigt. Einmal als Was-wäre-wenn-Szenario und dann wie die Situation wirklich abläuft. Der Zuschauer wird durch diese Traumsequenzen zum Mitdenken angeregt, da sich diese optisch nicht vom restlichen Bildmaterial absetzen. Man muss sich fragen, ob man den eigenen Augen trauen kann. Dieses Thema findet sich auch in der ersten Folge wieder, wo Thalbach seine Studenten auffordert den Täter eines gestellten Verbrechens zu identifizieren (was natürlich nicht gelingt).

Unverbraucht und viel zu kurz

Auch sehr untypisch für deutsche Krimis: Die Serie hat einen ganz eigenen Look, einen starken Soundtrack  und einen weitestgehend unverbrauchten Cast. Dieses Unverbrauchte ist auch mit ein Grund, warum diese Serie so eigen, realitätsnah und gleichzeitig doch auch irgendwie realitätsfern ist. Da stöpselt die Kommissarin schnell das I-Pad aus und projiziert die Tatortfotos eines aktuellen Mordfalls auf die Leinwand einer Kriminalistik-Vorlesung und befragt dann die Studenten nach einem potenziellen Motiv des Täters. Oder der Mörder bekommt Einzelheiten polizeilichen Vorgehens mit, weil die beiden Kommissare gerade ebenfalls dort sind und sich ziemlich laut unterhalten. Im Drehbuch schleichen sich an einigen Stellen solche Momente ein. Es ist ein Realitätsverlust zugunsten des Tempos des Storytellings. Das gibt also leichte Abzüge in der B-Note. Die Adaption der gleichnamigen belgischen Krimiserie, die ich (noch) nicht kenne, aber vielleicht auch einen Blick wert ist, gelingt ausgesprochen gut. Es ist wirklich schade, dass die komplette Staffel nur aus vier Folgen á 60 Minuten besteht, denn besonders in der dritten und vierten Folge nimmt die Serie ungemeine Fahrt auf. Das ZDF ist bislang noch nicht sicher, ob es eine zweite Staffel geben wird.

5/6 bzw. 8/10 

2 thoughts on “Professor T. (2017)

  1. Sehr gut. Stimme der Besprechung uneingeschränkt zu. Hatte selbst überlegt zu dieser Serie etwas zu schreiben, weil mir diese verschrobenen Typen, die jenseits jeglicher Konventionen ihr Leben bestreiten, sehr gut gefallen. Die Ehrlichkeit und das unbequeme hebt sie besonders hervor. MM spielt sehr gut, wunderbar überzogen an der Grenze zur Karikatur. Sehenswert und eine echte Alternative zu der Flut an der Krimiserien, die stets nur interessiert:“Wo waren Sie zur Tatzeit?“. Die Kriminaltechnik und auch die Kriminalpsychologie haben sich enorm weiter entwickelt und das sollte einen Niederschlag in der Unterhaltung finden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert