Mars (2021)

Mit Open-Air-Theater habe ich in der Vergangenheit immer gute Erfahrungen gemacht. Mit Monologen auch (fast immer). Daher war der Monolog MARS vom Residenztheater für mich gleich zweifach interessant. Hinter dem Marstalltheater erwartet die Zuschauertruppe ein nackter Mann lediglich umhüllt von dicken Seilen. Im Angesicht seiner Krebserkrankung schrieb der Schweizer Autor Fritz Zorn einen wütenden Monolog. Es geht dabei nicht nur um eine Abrechnung mit der Gesellschaft, die Krankheiten totschweigt. Er thematisiert auch die eigene Erziehung und das Elternhaus, in dem man über bestimmte Dinge einfach nie geredet hat. „Ich bin jung und reich und gebildet; und ich bin unglücklich, neurotisch und allein.“ sagt er mantraartig immer wieder.

Szenenbild aus MARS - Max Mayer in der Rolle von Fritz Zorn - © Sandra Then
Max Mayer spricht den Monolog von Fritz Zorn. – © Sandra Then

Max von der Grube

Zu Beginn des Stücks steht man im Marstall-Foyer und sieht, wie sich ein Seil, das auf dem Boden liegt, gezogen wird. Man weiß zu dem Zeitpunkt noch nicht so richtig, was das soll und wer da zieht. Ich fand den Beginn etwas verwirrend. Aus Ermangelung besserer Alternativen folgt man dem Seil auf die Rückseite des Marstalltheaters und dann steht da ein nackter Mann in der Grube, lediglich umhüllt von einem Seilknäul. Durch den Höhenunterschied ergibt sich sofort ein stimmiges Bild. Während wir, also das Publikum, am oberen Rand stehen und hinunterschauen, ist der Protagonist von MARS „tiefergelegt“ und versucht der Grube zu entkommen.

Szenenbild aus MARS - © Sandra Then
© Sandra Then

Nacktheit als Zeichen von Verletzlichkeit

Natürlich kann man fragen, wieso man sich das als Schauspieler antut. Ich muss aber sagen, dass ich das Konzept total stimmig empfand. Nacktheit geht immer auch einher mit Verletzlichkeit. Es gibt keine schützende Ummantelung mehr. Man ist dem Wetter und der Umwelt ausgeliefert. Das passt sehr gut zu dem Monolog eines Totgeweihten. „In Klamotte“ hätte das Stück bei weitem nicht die gleiche Wirkung gehabt. Einige Thesen in dem Text, der 1977 postum erschienen ist, sind wissenschaftlich nicht haltbar. So gibt Fritz Zorn seinen Eltern und der Gesellschaft die Schuld, dass er nie jemanden lieben konnte, und glaubt, dass er letztlich „zum Krebs erzogen“ wurde. MARS ist ein verbaler Rundumschlag und eine Abrechnung mit der eigenen Biografie.

Szenenbild aus MARS - Max Mayer - © Sandra Then
© Sandra Then

Da steht ein nackter Mann auf der Straße

Ein großes Lob an Max Mayer, der hier bei 8 Grad Außentemperatur an einem frischen Oktoberabend wirklich alles gibt. Es gelingt ihm, den manchmal etwas sperrigen Text gut herüberzubringen. Mayer reagiert auch auf sein Umfeld. Nicht nur auf das Publikum, dass in warmen Wintermänteln um seine Grube herumsteht. Auch nichtsahnende Passanten oder nächtliche Hundeausführer, die in dieser Zeit zwischen 21:30 und 22:20 Uhr zufälligerweise hinterm Marstalltheater entlanglaufen und neugierig schauen, werden in sein Spiel mit eingebunden. Das entwickelt immer wieder eine bittersüße Komik. „Nicht gucken!“ schreit er dem Paar hinterher, das gerade zum Auto läuft. Und als das Auto den Privatparkplatz verlassen hat und die Schranke noch offen steht, rennt unser Protagonist hinüber und versucht die Schranke zum Schließen zu bewegen. Auch wenn ich Anfang und Ende des Stücks (Protagonist rennt einfach weg) ein bißchen zu unklar wahrnahm, ist der Mittelteil mit seinen drastischen Worten, den szenischen Ideen vor Ort und improvisierten Einfällen von Max Mayer einfach wahnsinnig stark und voller Wucht.

8/10

Bewertung: 8 von 10.

Gesehen am 06.10.2021 am Marstall

Trailer: © Residenztheater

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