Birdman (2014)

In den letzten Jahren hat man von Michael Keaton nicht viel gehört, auch wenn er alles andere als untätig war. Doch jetzt meldet er sich in einer Rolle zurück, die wie für ihn geschrieben zu sein scheint. Er spielt Riggan Thomson, einen erfolglosen Schauspieler, der am Broadway noch einmal groß herauskommen will. Riggan möchte ein Stück basierend auf Raymond Carvers Kurzgeschichte → „What We Talk About When We Talk About Love“ für die Bühne adaptieren. Als sein Hauptdarsteller ausfällt und das Theaterstück am seidenen Faden hängt, hat Hauptdarstellerin Lesley (Naomi Watts) eine rettende Idee. Sie überzeugt den bekannten Schauspieler Mike Shiner (Edward Norton) den Part in Thomsons Stück zu übernehmen. Sein Freund und Produzent Jake (Zach Galifianakis) ist begeistert, denn mit dem Namen „Mike Shiner“ steigen die Ticketverkäufe. Leider ist Mike unberechenbar und arrogant, was schnell zu Zoff mit Co-Star Laura (Andrea Riseborough) und Riggans Tochter und Assistentin Sam (Emma Stone) führt, die er beide schamlos anbaggert. Und dann ist da auch noch die Kritikerin Tabitha (Lindsay Duncan), die bereits im Vorfeld ankündigt, das Theaterstück zu zerreißen. Und als wäre das noch nicht genug, hat Riggan mit einer inneren Stimme zu kämpfen. Sie gehört zu der Comicfigur Birdman, dessen Filmreihe ihn einst berühmt machte. Riggan versucht zwischen allen Parteien zu vermitteln und sein Stück gegen alle Widerstände aufzuführen.

Szenenbild aus BIRDMAN - © Fox Searchlight
© Fox Searchlight
Batman wird Birdman

Nicht erst seit GRAVITY sorgt Emmanuel Lubezki für tolle preisgekrönte Kameraeinstellungen. Auf Wunsch des Regisseurs sollte der gesamte Film wie ein einziger langer Take aussehen. Natürlich wurde hier und da getrickst, aber es gibt tatsächlich Einstellungen, die über 15 Minuten lang waren und komplett durchchoreografiert sind. Trotzdem hat man nie das Gefühl, die ausgefallene Kameraarbeit würde der Geschichte zuwiderlaufen oder diese behindern. Das Gegenteil ist der Fall. Riggan ist ein spannender Charakter und der Film macht viele Themenfelder auf. So wird das Verhältnis von Film- und Theaterschauspielern, dem der Schauspieler und Kritiker und dem Generationenkonflikt beleuchtet ebenso wie Erfolg heute definiert wird – nämlich nicht durch Talent und Fleiß, sondern durch Klickzahlen und Follower. Häufig wirkt Riggan wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit. Ein moderner Sisyphos, der sich diesem unmöglichen Ziel verschreibt, sein Lieblingstheaterstück auf die Bühne zu bringen. Immer weiter. Nicht stehenbleiben. Weitermachen! Egal, was alle sagen. Zur Mitte hin wird diese Monotonie etwas zu sehr auf die Spitze getrieben, wodurch der Plot dort etwas ermüdend wirkt. Man möchte in bester Mike-Shiner-Verbesserungsmanier dem Regisseur zurufen: „Du hast danach noch vier Sätze, die alle das Gleiche sagen. […] Mach‘ das mit EINEM Satz klar!“

Referenzen und Musik

Besonders amüsant sind die Anspielungen auf die Filmbranche. Als Riggan Ersatz für seinen ausgefallenen Hauptdarsteller sucht und diverse Namen von Schauspielern ins Spiel bringt, zählt Jake auf, dass Woody Harrelson gerade einen neuen Teil der TRIBUTE dreht, Michael Fassbender einen neuen X-MEN-Film am Start hat und deshalb die Rolle nicht übernehmen kann genauso wenig wie der „Avenger“ Jeremy Renner („Sogar dem haben sie einen Umhang verpasst.“). Schließlich regt sich Riggans Alter Ego Birdman über Robert Downey Jr. auf, der unermesslichen Erfolg genießt, seit man ihn in das „Blechmannoutfit“ gesteckt hat. Auch auf Keatons Karriere nimmt der Film indirekt Bezug. Riggan sagt in einem Interview, er habe den letzten Birdman-Teil 1992 gedreht. Im gleichen Jahr erschien BATMAN RETURNS, Keatons letzter Batman-Film. Alejandro G. Iñárritu ging nicht nur bei der Kamera ungewöhnliche Wege, sondern auch beim Soundtrack, welcher von Schlagzeuger Antonio Sanchez eingespielt wurde. Das Trommeln gibt den Grundrythmus des Films vor und macht auf der Tonebene das Gesehene häufig klarer. Bei schnellem Getrommel hört man es förmlich in Riggans Hirn rattern oder das Blut in seinen Adern pochen. Leider ist das auf Dauer etwas anstrengend und zermürbend, was zur Folge hat, dass der Zuschauer ähnlich fertiggemacht wird wie die Hauptfigur.

Szenenbild aus BIRDMAN - © Fox Searchlight
© Fox Searchlight
Ein Must-See

Schauspielerisch ragen besonders Michael Keaton und Edward Norton aus dem fantastischen Cast hervor. Die Gegensätze ihrer Charaktere prallen immer wieder aufeinander, was zu lustigen Situationen führt. Während Riggan litargisch und niedergeschlagen gegen seine eigene Bedeutungslosigkeit ankämpft, steht Mike für eine entspannte wie launenhafte „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“-Mentalität. Das Filmende sorgt für die ein oder andere Verwirrung, wodurch man den Film unbedingt mehrfach sehen muss um ihn ganz zu verstehen. Theorien gibt es inzwischen einige. So sei BIRDMAN eine Neuinterpretation von Shakespeares MACBETH, aber Parallelen zu David Finchers FIGHT CLUB werden aufgrund des doppelten Riggan (als Schauspieler und als Birdman) gezogen. BIRDMAN ist kreativ, packt und für jeden Cineasten ein Must-See. Und für alle anderen auch. 🙂

Visuell wie inhaltlich packend (5/6)

Bilder und Trailer: Fox

6 thoughts on “Birdman (2014)

  1. Sehr lesenswerte, gut geschriebene Besprechung!
    Die „Anspielungen“ auf die Filmbranche, die Sie ansprechen, sind meines Erachtens die Essenz dieses grossartigen Filmes. Verdichtet werden sie in der Sequenz, in der das alter Ego Birdman Riggan Thomson gegen Ende des Films vor Augen führt, welche Bedeutung das Massenphänomen und das Massen kompatible Produkt Film hat. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Warum sind die ganzen Superhelden-Filme und andere Franchise so populär? Sie befriedigen Bedürfnisse. Seit dem Altertum sind wir fasziniert von Helden. Sie stellen ein nicht zu erreichendes Ideal dar. Dessen ist sich die Filmbranche bewusst, denn Filme sind Produkte, die es zu verkaufen gilt. Träume lassen sich am besten verkaufen. Wie und vor allem von welchem Standpunkt man das beleuchtet, beleuchten kann und sollte, das macht Birdman deutlich. Es ist und bleibt am Ende, und das ist die meines Erachtens wesentliche Erkenntnis, stets eine Frage der Toleranz, des Aushaltens und der Selbstreflexion. Wir neigen stets dazu uns selbst zu überschätzen und die Filmemacher und Kritiker dazu den Zuschauer zu unterschätzen. Die Arroganz der Kritikerin spricht Bände, das was sie kritisiert, hat aber auf der anderen Seite auch einen sehr grossen Wahrheitsgehalt. Ein Kompromiss beider Ansichten in der legendären Bar-Szene ist die berühmte „Wahrheit“, die in der Mitte liegt. Das ist die Kunst des Kinos, die nur sehr wenige Regisseure beherrschten und beherrschen.
    Ein Film, der zum nachdenken anregt.

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