Selma (OmU, 2014)

Wirklich jedes Jahr, wenn die Oscarnominierungen bekannt gegeben wurden, geht das große Geschrei los. Während der Regisseur von THE LEGO MOVIE über die Nichtnominierung → schnell hinweg kam, war die Entrüstung an anderer Stelle größer. Denn der Film SELMA war nur in zwei Kategorien nominiert (Bester Film, Bester Originalsong) und in den meisten Kategorien dominierten hellhäutige Schauspieler. Kurzerhand wurde auf Twitter der Schlachtruf bzw. der → Hashtag #OscarsSoWhite ausgegeben und sich aufs Übelste empört. Geholfen hat es zwar wenig, aber wenigstens wurde so die Diskussion etwas angeheizt. Verdient hätte David Oyelowo tatsächlich eine Nominierung. Er portraitiert Martin Luther King im Jahre 1965. Seine legendäre „I have a dream“-Rede hat er bereits vor zwei Jahren gehalten, auch den Friedensnobelpreis kann er bereits sein Eigen nennen, aber der Kampf ist für ihn noch nicht vorbei. Auch wenn Afroamikaner ein vom Gesetz garantiertes Wahlrecht genießen, so sieht die Realität anders aus. Schwarze haben nach wie vor mit Schikane und Einschüchterung zu kämpfen. In der Stadt Selma in Alabama formt sich Widerstand. Martin Luther King möchte helfen und fährt mit seinen Unterstützern nach Selma. Von dort plant er einen Protestmarsch nach Montgomery, die Hauptstadt von Alabama.

Präsident Johnson (Tom Wilkinson) und Dr. King (David Oyelowo) – © STUDIOCANAL
„Negotiate, demonstrate and resist!“

Glücklicherweise macht Regisseurin Ava DuVernay nicht den Fehler und stellt Luther King als unantastbaren Helden hin, sondern vielmehr betont sie die Vielschichtigkeit seiner Figur (Eheprobleme, Hang zu Affären, Selbstzweifel). Auch die Tatsache, dass King viele Berater hatte wie z.B. den Anwalt Fred Gray (Cuba Gooding, Jr.), wird hervorgehoben. Obwohl der Schwerpunkt der Handlung natürlich bei der Bürgerrechtsbewegung liegt, werden immer wieder FBI-Berichte eingeblendet. Auch Gespräche zwischen Präsident Johnston (Tom Wilkinson) und FBI-Chef J. Edgar Hoover (Dylan Baker) geben Einblicke in die Haltung der Regierung. Auch der Gouverneur George Wallace, herrlich böse wie kämpferisch verkörpert von Tim Roth, beweist immer wieder überdeutlich, wie stark die Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Gesetz und der tatsächlich durchgesetzten Haltung war. Die Schikane und Gewalt gegenüber Afroamerikanern, die für ihr Wahlrecht kämpften, wird in Person der engagierten Annie Lee Cooper (Oprah Winfrey, übrigens auch Geldgeberin des Films) verkörpert. In einer → beeindruckenden ruhigen Szene wird sie vom Beamten gefragt, wie viele Bezirksrichter in Alabama leben. 67, antwortet Cooper richtig. „Name them!“ fordert er schließlich und stempelt „abgelehnt“ auf ihr Formular.

Annie Lee Cooper (Oprah Winfrey) – © STUDIOCANAL

DuVernay schafft es damit auch die Frauen der Bewegung in den Vordergrund zu rücken, besonders stark repräsentiert durch Cooper und Luther Kings Ehefrau Coretta (Carmen Ejogo). All diese vielen Themenfelder wirken so leicht und klug miteinander verwoben. Man spürt das Herzblut, dass in diesem Film steckt. Der Regisseurin war ein Höchstmaß an Authentizität wichtig. Daher wurden viele Szenen auch an Originalschauplätzen gedreht, teilweise auch mit Ortsansässigen, die Zeuge der damaligen Vorkommnisse waren. Mit David Oyelowo hat DuVernay einen fantastischen und charismatischen Hauptdarsteller, der sich ganz offensichtlich richtig in die Rolle reingekniet hat. Aber auch jeder andere Schauspieler, und sei es auch nur die kleinste Nebenrolle, ist perfekt besetzt und trägt zur packenden Atmosphäre des Films bei. Auch der Track „Glory“ von John Legend und Common, seit dem 22. Februar auch oscargekrönt, verkörpern die Hoffnung auf bessere Zeiten. SELMA ist episch ohne kitschig zu sein. Er entzaubert den Luther King-Mythos etwas und zeichnet King als Menschen aus Fleisch und Blut und nicht als heroischen Helden ohne Schwächen. Der Film portraitiert nicht nur den Anführer einer starken Bewegung, sondern auch die Menschen der Bewegung selbst und deren Gegner. Gegen Ende zieht sich der Film etwas in die Länge, das ist aber Jammern auf verdammt hohem Niveau. Martin Luther King starb 1968 bei einem Attentat. Dieser Film hätte ihm sicher gefallen.

Packend und überwältigend (5.5/6)

Trailer: © STUDIOCANAL GERMANY

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