High-Rise (OmU, 2015)

Wenn ein Nachname zum Adjektiv wird, dann hat man es als Künstler geschafft. Genau wie es das Kafkaeske oder das Tarantinoeske gibt, gibt es im Englischen den Begriff → „ballardian“. Benannt nach dem 2009  verstorbenen Schriftsteller J.G. Ballard definiert der Begriff  „Umstände ähnlich jener beschrieben in J.G. Ballards Romanen und Kurzgeschichten, vor allem eine dystopische Moderne, düstere, von Menschenhand geschaffene Landschaften sowie die psychologischen Auswirkungen technologischer, sozialer oder ökologischer Entwicklungen.“ Und düster wird es auch in HIGH-RISE. Im Jahr 1975 zieht der Physiologe Dr. Laing (Tom Hiddleston) in ein neuartiges Hochhaus. Dieses bietet seinen Bewohnern so viel Luxus, dass sie das Haus im Grunde gar nicht verlassen müssten, denn vom Supermarkt bis zum Schwimmbad ist alles in dem 40-stöckigen Gebäude untergebracht. Schnell lernt er die einen Stock über ihm wohnende alleinerziehende Mutter Charlotte Melville (Sienna Miller) kennen. Der Architekt des Gebäudes Anthony Royal (Jeremy Irons) ist angetan von Laing und lädt ihn zu den mondänen Feiern der oberen Stockwerke ein. Je höher man in Royals Gebäudekomplex wohnt, desto höher ist auch der Status der Person. Laing freundet sich mit dem Dokumentarfilmer Richard Wilder (Luke Evans) und dessen schwangerer Frau Helen (Elisabeth Moss) an. Die wohnen beide im zweiten Stock und träumen beide davon, in einer der höheren Etagen zu wohnen. Nach und nach kommt es zwischen den Bewohnern zu Unruhen, da der Strom manchmal ausgeht oder zu wenig Essen im Supermarkt zur Verfügung steht. Die Unterschicht revoltiert gegen die Dekadenz der reichen Oberschicht. Bald gerät Laing zwischen die Fronten und findet sich einige Zeit später auf seinem Balkon wieder, wo er den Hund des Architekten grillt.

Charlotte Melville (Sienna Miller) – © DCM
Ein Film, den man nicht so schnell vergisst

Die kühl komponierten Bilder und das vielseitige Setdesign von Ben Wheatleys Zukunftsdrama gehen nicht sofort wieder aus dem Kopf. Zu abstrus und verrückt sind diese  Impressionen. Die Luxuslady, die auf der Dachterasse im 40. Stock ihren Schimmel spazieren führt. Der Bafta-Filmpreis, der als Waffe eingesetzt wird. Ein Mord, der durch ein Kaleidoskop beobachtet wird. Ein Selbstmord in Zeitlupe. Tom Hiddleston, der in seiner Rolle als Dr. Laing einen Schädel aufschneidet und aufsägt. Oder mit grauer Kriegsbemalung seine Wohnung streicht. Oder halbnackt auf dem Balkon liegt und beinahe von einem Weinglas erschlagen wird. Man sieht das Unheil kommen und muss fassungslos zusehen, wie es immer schlimmer und schlimmer wird und gerade das ist dann schon wieder großartig, weil man insgeheim selbst auch mal auf den Putz hauen möchte. Auch die Musik trägt unfassbar zur Stimmung bei. So spielt ein kleines Orchester die Melodie von ABBAs „SOS“ und gibt damit schon eine Andeutung, wie der Film ausgeht. Auch das „Morning has broken“ nach einer durchzechten Nacht sorgt für einen Lacher.

Das Prospekt zur Immobilie - © DCM
Das Prospekt zur Immobilie – © DCM
Mysteriös und dystopisch

HIGH-RISE erzählt vom Zerfall einer Gesellschaft, dem Kampf der sozial Schwachen gegen die Reichen, dem Verfall von Anstand und Moral. Tom Hiddleston ist die Idealbesetzung für diese Rolle. Die Ambivalenz seiner Figur arbeitet er gut heraus. Ihm folgt man gerne überall hin, auf die Barock-Schickimicki-Party, in den aufgeräumtesten Supermarkt aller Zeiten, ins Gym und zur Massage. Sogar in Laings Träume, wo er mit hübschen Flugbegleiterinnen tanzt. Dennoch ist HIGH-RISE eher ein Ensemblefilm, der seine Kraft aus dem Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Bewohner zieht. Was etwas schlecht herausgestellt wird, ist, dass die Hochhausbewohner diese (negativen) Veränderungen selbst hervorrufen bzw. das Chaos wollen. Die Anarchie bietet den Überlebenden nämlich die Möglichkeit aus ihren gesellschaftlichen Zwängen auszubrechen und ohne schlechtes Gewissen ihrer Begierde nachzugehen. Hier fehlt es an Erklärungen, da die Verwandlung vom „ehrenwerten Haus“ zum Anarchobunker innerhalb weniger Einstellungen abgehandelt wird. Warum keine Hilfe von außen kommt, bleibt ebenfalls ungeklärt. In einem Interview erklärte Ben Wheatley man solle → das Publikum nicht unterschätzen, daher erkläre er auch nicht jedes Verhalten im Film, denn „mystery is more interesting than fact.“

(5/6)

Trailer: © DCM

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