Harry Brown (OmU, 2009)

Als Debütfilmer muss man schon Glück haben. Man hat in der Regel wenig Geld zur Verfügung und kann sich dementsprechend wenig leisten. Schon gar keine A-Listen-Schauspieler. Doch Daniel Barber hatte  Glück. Glück, weil Michael Caine viel von sich selbst in der Titelrolle sah (Brown ist ein ehemaliger Marinesoldat, der in Nordirland gedient hat/Caine diente in der britischen Armee während des Koreakriegs; Caine wuchs in derselben Gegend auf wie Brown) und Glück, weil er deshalb die Rolle annahm. Der Rentner Harry Brown (Michael Caine) lebt in einem Problemviertel. Sinnlose Gewalt gehört zum Alltag. Brown besucht seine Frau, die im Krankenhaus im Koma liegt, und spielt regelmäßig Schach mit seinem besten Freund Leonard (David Bradley). Mitten in der Nacht wird Harry informiert, dass seine Frau im Sterben liegt. Anstatt den kürzesten Weg durch eine Unterführung zu nehmen, nimmt er einen Umweg in Kauf, da die Unterführung von jugendlichen Gangmitgliedern besetzt ist. Er kommt zu spät. Nach der Beerdigung vertraut Leonard Harry an, dass er von Jugendlichen schickaniert wird und erklärt, er wolle sich von nun an verteidigen. Leonard soll zur Polizei gehen, rät Harry. Am nächsten Tag bekommt Harry Besuch von den Polizisten Frampton (Emily Mortimer) und Hicock (Charlie Creed-Miles), die ihm mitteilen, dass Leonard ermordet wurde. Alle Verdächtigen werden aufgrund mangelnder Beweise schnell wieder entlassen. Als kurz darauf auch noch Harry selbst bedroht wird, sich aber aufgrund seiner militärischen Ausbildung verteidigen kann, beschließt er etwas gegen die Gewalt zu tun.

HARRY BROWN - Gute Freunde: Leonard (David Bradley) und Harry (Michael Caine) - © Ascot Elite
Gute Freunde: Leonard (David Bradley) und Harry (Michael Caine) – © Ascot Elite
Eine Jugend ohne Hoffnung

Der Film beginnt mit der wackelig gefilmten Erschießung einer Mutter durch zwei Gangmitglieder, die ganz offensichtlich nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen. Im Kontrast dazu Harry Brown, der in unaufgeregter Bildsprache akkurat seine Schuhe schnürt und Geschirr wäscht. Die Trostlosigkeit seines Wohnortes wird erst langsam deutlich. Die grauen Plattenbauen, die sich aneinanderreihen, scheinen die Hoffnungslosigkeit ihrer Bewohner nach außen zu kehren. Problemlösungen für Problemviertel sind schwierig, das zeigt nicht zuletzt auch das Filmemachen an solchen Orten. HARRY BROWN wurde hauptsächlich in Heygate Estate gedreht. Nicht nur im Film hatte die Gegend einen schlechten Ruf, sondern auch in der Realität. Daher wurde das komplette Gelände von 2011-2014 abgerissen. Diese kriminelle Jugend, verlassen von der Welt, erinnert stark an die Droogs aus Kubricks UHRWERK ORANGE. Eine desillusionierte Gruppe, die inmitten verdreckter Toiletten und Graffitis überzogener Wände, nach irgendeiner Form von Bestimmung sucht und diese im Hass auf die Polizei oder im Drogenrausch findet.

HARRY BROWN - DI Frampton (Emily Mortimer) schöpft Verdacht - © Ascot Elite
DI Frampton (Emily Mortimer) schöpft Verdacht – © Ascot Elite
Ein Rachedrama

HARRY BROWN ist mehr ein kühles Drama als ein knallharter Actionfilm. Harry Brown ist ein stiller Beobachter.  Es geht um die leisen Töne.  Das zeigt sich auch in dem sehr subtilen Soundtrack, der nur dann unterstützt, wenn es wirklich nötig ist. Kleinere Längen und Logiklöcher bleiben bei diesem Stil nicht ganz aus. Michael Caine gibt einen starken Protagonisten, obwohl es zugegebenermaßen schon manchmal etwas lächerlich aussieht, wenn er mit einer Schusswaffe herumhantiert oder einen jammernden Jungen foltert. Auf der anderen Seite hat er natürlich alle Sympatien auf seiner Seite. Emily Mortimer spielt die Zwickmühle, die Diskrepanz zwischen objektiver, nach Fakten suchenden Polizistin und subjektivem Mitgefühl und Verständnis für die Einzelschicksale der Ghettobewohner, gut heraus. Daniel Barber ist ein packendes Debüt gelungen, das definitiv Lust auf mehr macht.

(4.5/6)

Trailer: © Ascot Elite

0 thoughts on “Harry Brown (OmU, 2009)

  1. Ich empfand es als regelrecht schwer den Film zu Ende zu schauen. Nicht weil er schlecht gemacht ist, sondern weil mich die Verrohung der Jugendlichen regelrecht angewidert hat. Am schlimmsten empfand ich was David Bradleys Charakter passiert ist. Irgendwann gab es mal eine Blogparade, die durch die Blogs geisterte – die hieß „Filme, die ich kein zweites Mal sehen will“ oder so ähnlich. Hätte ich damals schon Harry Brown gesehen, dann käme der auf die Liste. Obwohl es schon ein guter Film ist.

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