Filmische Objekte: Der Baum

Seh’ ich, dich heut’, Nacht am alten Pfad,
Dort hängten sie den Mann, der drei getötet hat.
Seltsames trug sich zu und seltsam wär’s wenn wir,
Uns seh’n, am Baum, wo er gehangen hat.

Das Lied “The Hanging Tree” aus HUNGER GAMES: MOCKINGJAY – TEIL 1 ist eines der wenigen innerdiegetischen Filmlieder, die es auch in die Charts geschafft haben. Jennifer Lawrences Gesangsbeitrag über die Rebellion der Distrikte stellt den Baum besonders heraus. Den Baum als Gerichtsbarkeit. Besonders in Western wie TRUE GRIT und SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD ist der Baum ein Ort des Gerichts. Hier werden Urteile vollstreckt und Menschen gehängt. Der Baum im Film ist auch ein Treffpunkt, eine Stelle, an der sich der Weg gabelt. Ein geschmückter Tannenbaum signalisiert Ruhe und Besinnlichkeit in der Weihnachtszeit. Ein Baum bietet Schutz, mehrere Bäume oder ein ganzer Wald sind gefährlich. Unter dem Baum befindet sich ab und an auch ein geheimer Eingang. Manche Filmfiguren leben sogar in Bäumen. Filmische Bäume können im Gegensatz zu den realen auch sprechen und mit anderen Lebewesen interagieren.

Filmstill aus POCAHONTAS - Großmutter Weide - © Disney
Großmutter Weide – © Disney

Bäume werden aber auch gerodet. Ob in POCAHONTAS oder in DER HERR DER RINGE: DIE ZWEI TÜRME, mit den Bäumen verschwindet immer auch ein Lebensraum für Mensch und Tier. Oder der Baum steht für ein größeres Konzept: Er ist – wie in AVATAR – ein kirchengleicher Ort, der eine Verbindung mit den Ahnen herstellt. In HUNGER GAMES: CATCHING FIRE beendet der einschlagende Blitz in einen Baum die 75. Hungerspiele. Der zerstörte Baum als Befreiungsschlag gegen das unterdrückende System. Kurzum: Der Baum ist geradezu prädestiniert für einen Platz in unserer Reihe “Filmische Objekte”.

Quelle: © ARTE

“Ich bin Groot” oder: Sprechende Bäume

Während Bäume im normalen Leben einfach nur in der Gegend herumstehen und vor sich hin wachsen, gefällt werden oder vielleicht vom Blitz getroffen werden, haben filmische Bäume auch die Fähigkeit zu sprechen. Die aktuellsten Beispiele sind das Monster aus SIEBEN MINUTEN NACH MITTERNACHT und Groot aus den GUARDIANS OF THE GALAXY-Filmen.

Filmstill Ent aus DER HERR DER RINGE DIE ZWEI TÜRME - © Warner Bros.
Der Ent – © Warner Bros.

Im direkten Vergleich merkt man das es da auch Unterschiede bezüglich der Komplexität der Sprache gibt: während Groot in verschiedenen Betonungen und Lautstärken seinen Namen nennt (“Ich bin Groot.”), kann das Monster komplexe Sachverhalte nachvollziehbar erklären. Bäume in Filmen symbolisieren aber auch häufig eine Verbindung mit der Vergangenheit oder den Ahnen. Prominente Beispiele sind Großmutter Weide aus POCAHONTAS, die Ents aus der HERR DER RINGE-Trilogie und der Baum der Seelen, den das Volk der Na’vi in AVATAR verehrt. Nun könnte man sicher argumentieren, dass der Baum der Seelen ja nicht von alleine spricht. Dennoch kommuniziert er ganz offensichtlich mit seiner Umwelt, mit der Flora und Fauna von Pandora über neuronale Verbindungen im Erdreich.

Der Lebensbaum und die Abstammung

von → Miss Booleana

Der Baum gilt in zahlreichen Religionen und Kulturen als ein Symbol des Lebens. In der Kabbala-Lehre ist es Sephiroth, in der nordischen Mythologie ist es Yggdrasil, der Weltenbaum. Er ist das Heim der Menschen, Götter, der Unterwelt und umspannt den Himmel. Er war der erste Baum und gilt als Symbol der Schöpfung und somit des Lebens. Es ist nicht schwer vorstellbar woher diese Ansichten und Mythen kommen. Bäume sind tief in der Erde verwurzelt, ziehen ihre Energie aus den Grundelementen und sie widerstehen oftmals den schlimmsten Stürmen.

Filmstill aus MEIN NACHBAR TOTORO - © Universum
© Universum

So ein unumstößliches Etwas brauchen auch dringend die Kinder in dem Anime MEIN NACHBAR TOTORO. Als ihre Mutter krank wird, droht ihre Welt einzustürzen. In dem Haus, dass sie beziehen, um näher bei der kranken Mutter zu sein, treiben aber Waldgeister wie der titelgebende Totoro ihr Unwesen. Er und seine Freunde machen ihnen das Herz leichter. In ihrem Garten lassen sie auf magische Weise einen Baum wachsen, ein Zeichen für Leben und Erneuerung. Und geben den Kindern damit neue Hoffnung. Hoffnung, Leben und Schöpfung spielen auch in Darren Aronofskys THE FOUNTAIN eine große Rolle, drapiert auf drei Zeit- oder Realitätsebenen. In dem Film versucht der Conquistador Tomás für seine Königin den Baum des Lebens zu finden, von dem sie sich Heilung verspricht.

Filmstill aus THE FOUNTAIN - © Studiocanal
Filmstill aus THE FOUNTAIN – © Studiocanal

In der Gegenwart versucht wiederum der Forscher Tommy Creo ein Heilmittel gegen Krebs zu finden. V.A. auch für seine erkrankte Frau Izzie. Die Lösung soll eine exotische Baumrinde sein, die aber für Izzie zu spät zu kommen scheint. In einer Zukunft, in der der Mensch spirituelle Barrieren durchbrochen hat, reist Tommy mit einem Baum durch das Weltall und der Wiedererweckung entgegen. Der Baum ist nun Izzies Inkarnation selbst und droht zu verdorren. Dabei umspannt der Film drei Versionen und Auffassungen vom Baum des Lebens. Eine wissenschaftlich-realistische, eine mythologische und eine spirituelle. THE FOUNTAIN deutet die Suche nach dem Jungbrunnen um zu einer Geschichte über das Leben selbst und die Akzeptanz des Unvermeidlichen, den Tod ist ein Teil des Lebens.

Der Stammbaum

So ähnlich wie der mächtige Stamm eines Baumes für das Leben und die Schöpfung steht, erinnern die Verzweigungen, Wurzeln und das Geäst an Schöpfung, den Ursprung und das Auseinanderhervorgehen. Das ist es, was zu dem Motiv des Stammbaums inspirierte und an den Baum des Lebens erinnert. Stammbäume zeigen alle Zweige einer Familie auf, wer ging aus welcher Verbindung hervor? Displays solcher Art zeugen meist von Ehrgefühl und dienen zur Präsentation einer langen Blutlinie oder als Erinnerung, damit liebe Menschen nicht vergessen werden. In den HARRY POTTER-Filmen erinnert die Tapete im Gebäude am 12 Grimmauld Place an die Familie Black. Aus dem Bild gebrannt und geschwärzt wurden diejenigen, die nicht reinen Blutes waren, d.h. sich mit Muggeln liierten, aus einer solchen Verbindung hervorgingen oder aus irgendwelchen anderen Gründen als entehrt gelten. Der Stammbaum wurde zweckentfremdet und zeugt von vergiftetem Gedankengut. Wenn Harry und seine Familie ihn ansehen, erinnert er weniger an die Familie, als an die gefährlichen und traurigen Meinungen, der Welt in der sie leben und an Menschen, die bereit sind zu entehren, zu vergessen oder gar zu töten und Äste des Baums zu kappen.

Clip: xezene1 / © Warner Bros. 

DER Baum als Erzähler des Lebens

Terrence Malick geht in seinem Film noch etwas weiter. Man möchte fast meinen universell weiter. Am Beispiel eines erwachsenen Mannes, der seine Kindheit und das Aufwachsen in einer Familie mit einem strengen Vater und einer sanften, gottesfürchtigen Mutter reflektiert, erzählt er in THE TREE OF LIFE eine → Geschichte vom Leben selbst. Von all den Verzweigungen, nicht nur in seiner Familie, sondern der ganzen Menschheitsgeschichte und aller Lebewesen. Auch wenn Leid, Freude, Empfindung bei allen Lebewesen anders aussieht, ist sie doch in uns allen. Und wenn man die Wurzeln des Stammbaums weit genug zurückverfolgt, trägt jedes Lebewesen Verwandtschaft zueinander und denselben Lebensfunken in sich. Auch wenn man von Mensch zu Mensch, manchmal in derselben Familie, nicht viele Gemeinsamkeiten zu spüren meint. In Mamoru Oshiis Anime-Film GHOST IN THE SHELL aus dem Jahr 1995 hat sich die Menschheit auf eine neue Evolutionsstufe begeben. Der Mensch, der einst als (Baum-)Krone der Schöpfung am Stammbaum der Arten stand, wird verdrängt durch Maschinen und Cyborgs. Überhaupt verschwimmt die Grenze bei all den digitalen und virtuellen Gehirnen, den Ersatzteilen und der mechanischen Optimierung an einst menschlichen Körpern. Inklusive Identitätskrise. Auf der Jagd nach einem Killer, der digital Identitäten raubt, begibt sich Major Motoko Katsuragi in Gefahr und erlebt eine gewalttätige Auseinandersetzung mit manipulierten Maschinen in einem Museum. Während des Showdowns zerstört die Maschine ein Kunstwerk auf dem die Menschheitsgeschichte und -abstammung aufgezeigt wird. An der Spitze steht der Mensch und wird durch das Gewehrfeuer noch verschont. Gerade so. Aber wie lange noch? Ein Abgesang auf das Leben und die Schöpfung wie wir es kennen.

Clip: Noah Doersing

Wohnen im Baum – Baumhäuser und Waldstädte

von Marcel  von → Filmschrott

Das Baumhaus. Der Traum eines jeden Jungen (und vermutlich auch so manchem Mädchen) mit Baum im Garten. Ohne jegliche Aufsicht mit den Freunden im Baum zu sitzen, Spiele zu spielen und Pläne für die unmittelbare Zukunft zu schmieden, ist doch einfach das Größte. Auch im Film ist das Baumhaus deshalb ein beliebter Treffpunkt für Kinder und Teenager. In der Stephen King-Verfilmung STAND BY ME beschließen die Jungs in ihrem Baumhaus nach einer Leiche zu suchen und → schmieden Pläne, wie sie diese Mission in Angriff nehmen können, ohne dass ihre Eltern etwas davon erfahren. Die Kids in THE SANDLOT verbringen eine Menge Zeit in ihrem Baumhaus, von wo aus sie → das Spielfeld überblicken können, in dem sich »Das Biest« aufhält. Und auch das MONSTER SQUAD hängt gerne im Baumhaus herum und bespannt die Nachbarin. In der Romanverfilmung TO KILL A MOCKINGBIRD baut Atticus Finch dem kleinen Jem ein Baumhaus von dem aus er die komplette → Straße im Blick hat. Kevin aus HOME ALONE nutzt sein Baumhaus → zur Flucht vor den »Feuchten Banditen«. In den PETER PAN Verfilmungen leben die »verlorenen Jungs« in einem Baum, den sie mit allerlei Objekten ausgestattet haben. Die Ewoks in RETURN OF THE JEDI haben eine ganze → Stadt aus Baumhäusern gebaut. Vermutlich haben sie sich von Kevin Costners ROBIN HOOD und seinen Verbündeten inspirieren lassen, die ebenfalls einen ganzen Abschnitt im Wald mit Baumhäusern bebauten. Eins der →beeindruckendsten Baumhäuser baut die SWISS FAMILY ROBINSON im gleichnamigen Disney Klassiker, nachdem sie auf einer Insel gestrandet sind. Dr. Alan Grants Vater hat ihm übrigens nie ein Baumhaus gebaut.

Clip: © Movieclips Coming Soon

Unter dem Baum verborgen – Geheimgänge und Portale

von Marcel von → Filmschrott

Nicht selten dienen Bäume in Filmen als geheime Eingänge zu anderen Orten. Und noch weniger selten wissen die Charaktere nicht, wo diese Eingänge sie hinführen. So verfolgt Alice in den ALICE IN WONDERLAND Verfilmungen ein Kaninchen in dessen Bau → unter einem Baum und gelangt so ins Wunderland voller seltsamer Gestalten. Die Gruppe um HARRY POTTER nutzt einen Geheimgang unter der peitschenden Weide um zur heulenden Hütte zu kommen, in der sich einige Geheimnisse rund um die zwielichtigeren Charaktere der Reihe offenbaren. In THE BRIDGE TO TERABITHIA erreicht man das genannte Land nur, indem man sich an einem alten Seil, das an einen Baum gebunden ist, über einen Fluss schwingt.
Eher düster geht es in SLEEPY HOLLOW zu, wo der kopflose Reiter unter dem → Baum der Toten begraben liegt. Dieser Baum dient als das Portal zwischen dem Reich der Lebenden und dem Reich der Toten.

Clip: © J.K. Rowling’s Wizarding World/Warner Bros. 

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