Anomalisa (OmU, 2015)

Crowdfunding ist schon eine tolle Sache, besonders für Filmemacher mit Projekten, die sonst keiner machen will. Von einer Fan-Finanzspritze haben bereits Filme wie WISH I WAS HERE oder STROMBERG profitiert. Eines dieser großartigen Projekte ist ANOMALISA. Der Drehbuchautor Charlie Kaufman, den man von Filmen wie BEING JOHN MALKOVICH oder VERGISS MEIN NICHT kennt, nimmt den Zuschauer mit nach Cincinnati. Dort kommt der Motivationstrainer und Bestsellerautor Michael Stone (Stimme von David Thewlis) an, weil er dort einen Vortrag halten soll. Auch wenn er schon vielen Menschen helfen konnte, so leidet er selbst unter einem ganz eigenen Problem. Alle Menschen, die er trifft, sehen gleich aus und haben die gleiche männliche Stimme (Tom Noonan). Durch Zufall trifft er in seinem Hotel die Handelsvertreterinnen Emily und Lisa (Stimme von Jennifer Jason Leigh). Michael ist sofort von Lisa und besonders ihrer Stimme begeistert, da diese aus der Masse hervorsticht. Lisa und Michael verbringen die Nacht miteinander, doch was der Beginn einer wunderschönen Liebesgeschichte sein könnte, endet dann doch nur in einer Enttäuschung.

Michael und Lisa - © Paramount Pictures
Michael und Lisa – © Paramount Pictures
Unterstützung und Lob von allen Seiten

Ursprünglich war der Film als Hörspiel konzipiert und wurde 2005 auf Bühnen in New York und Los Angeles uraufgeführt. Der Film wurde von mehr als 5.000 Fans auf Kickstarter finanziert. Mit über 400.000 US-Dollar wurde doppelt so viel Geld eingenommen wie erhofft – damals war allerdings nur eine 40-minütige Fassung geplant. Nachdem dann auch noch ein Investor einstieg, konnte eine Spielfilmfassung realisiert werden. Und die wurde dann mit Filmpreisen überhäuft. Die Oscarnominierung in diesem Jahr war durchaus gerechtfertigt. Es ist fast ein bißchen schade, dass der Film gegen ALLES STEHT KOPF verloren hat. Immerhin können sich die Macher damit trösten, dass ANOMALISA der erste Animationsfilm mit einem → R-Rating ist, der es überhaupt in die Nominiertenliste der Academy geschafft hat. Denn ja, es gibt nackte Tatsachen zu sehen. An der Sexszene zwischen Lisa und Michael hat man aufgrund von technischen als auch narrativen Gründen sechs Monate herumanimiert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und wurde von der Alliance of Women Film Journalists in der Kategorie → „Best Depiction Of Nudity, Sexuality, or Seduction“ zusammen mit CAROL ausgezeichnet.  (Von dem EDA-Award hatte ich bisher noch nie was gehört, aber man lernt ja nie aus.)

Michael Stone - © Paramount Pictures
Michael Stone – © Paramount Pictures
Interpretationsspielräume

ANOMALISA bietet genügend Interpretationsspielraum. Recht offensichtlich ist die gestörte Wahrnehmung von Michael, bei dem alle Menschen gleich aussehen und die gleiche Stimme haben. Der Film selbst gibt auch eine offensichtliche Antwort, wie man diese nennt. Stone steigt im „Hotel Fregoli“ ab. Das → Fregoli-Syndrom ist eine wahnhafte Einbildung, die häufig im Zusammenhang mit Schizophrenie auftaucht. Dann verästeln sich aber die möglichen Analysen. Während die einen sagen, Michael sei ein → unzuverlässiger Erzähler, der die Krankheit nur als Ausrede dafür benutzt, andere Menschen schlecht zu behandeln, denken die anderen Lisa sei nur eine → Fantasieversion der japanischen Puppe, die Michael kauft. Für alle anderen, die weniger Wert  auf die ausführliche Filmanalyse legen, für die ist es ein Film über → Einsamkeit und die Flüchtigkeit der Liebe.  Die Sprecher der Rollen sind die gleichen wie die des Hörspiels von 2005. David Thewlis, Jennifer Jason Leigh und Tom Noonan haben einen großartigen Job gemacht. Es mag sicherlich den ein oder anderen geben, der mit der Stop-Motion-Art seine Probleme hat. Die Figuren laufen selten flüssig, sondern immer etwas abgehackt. Auf der anderen Seite hat Stop-Motion auch seine Vorteile, wenn etwa Teile des Gesichts abfallen oder alle Figuren gleich aussehen. Mit CGI wäre das mindestens genauso viel Arbeit. Animationsfilme haben ja das Image, dass sie hauptsächlich für das jüngere Publikum gemacht sind. ANOMALISA beweist das Gegenteil. Es ist ein Film für Erwachsene, der erwachsene Themen anspricht und komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint. Definitiv ein Film zum Immer-wieder-Anschauen.

(5.5/6)

Trailer: © Paramount Pictures

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